Frühstückspension: Kriminalroman
bin es nicht gewohnt, von mir zu erzählen«, unternimmt sie einen letzten Versuch, abzuwehren.
Ich antworte nicht, sehe sie nur ruhig an. Sie zieht ergeben ihre Schultern hoch und gibt sich einen sichtbaren Ruck. »Okay, von Anfang an.«
»Ich stamme aus einer großen Familie. Wir waren zu Hause vier Geschwister. Da war immer was los, das kannst du dir vorstellen. Ich war nie allein, und es war immer irgendwie laut. Das war normal für mich und hat mich nicht gestört, bis ich erwachsen wurde. Was ich so erwachsen nannte. Ich war 17, kurz vor meinem 18. Geburtstag. Da habe ich Gerold kennen gelernt. Er war sechs Jahre älter als ich.
Es hat mir mächtig imponiert, dass er sich für mich interessierte. Er hatte schon ein eigenes Auto und hat mich zum Tanzen ausgeführt. Nicht zu verachten, wenn man außerhalb von Minsen wohnt.«
Minsen, denke ich. Da habe ich mit Elke meinen ersten Urlaub verbracht. Das muss genau zu der Zeit gewesen sein. So nah beieinander. Vielleicht sind wir uns sogar einmal begegnet? Der richtige Ort, aber anscheinend nicht der richtige Zeitpunkt für Tomke und mich.
Ich schweige, um Tomke nicht zu unterbrechen.
»Das Wichtigste aber war, dass meine Eltern Gerold auf Anhieb gemocht haben. Sie waren in dieser Hinsicht sehr streng. Gerold war der ideale Kandidat als Schwiegersohn. Er hat sich mit meinen Eltern unterhalten, wenn er mich abends abgeholt hat. Manchmal sogar noch einen Tee mit ihnen getrunken. Und er hatte einen Beruf, mit dem mein Vater etwas anfangen konnte. Gerold war Schlosser, und mein Vater hatte einen Malereibetrieb. Das passte. Das hat mich natürlich alles nicht interessiert. Ich war nur verknallt und habe mich hofieren lassen. Meine ältere Schwester war neidisch, dass ich früher als sie fest mit jemandem ging. Das habe ich auch genossen.«
Tomke lächelt bei der Erinnerung. Dann wird ihr Gesicht wieder ernst. »Warum wir so früh geheiratet haben? Das ist eigentlich ganz einfach. Wir wollten in den Urlaub nach Italien fahren. Gerold hat meine Eltern um Erlaubnis gefragt. Sie waren nicht begeistert, obwohl Gerold schon einen gewissen Status bei ihnen hatte. ›Aber vorher wird geheiratet!‹«
Ich weiß, dass ich total ungläubig gucke, und kann es nicht verhindern. Tomke bemerkt meinen Gesichtsausdruck und nickt.
»Ja, wir haben wirklich geheiratet, um nach Italien fahren zu können. Natürlich waren wir auch verliebt, aber der Anlass war dieser Urlaub. Ich war einfach sehr naiv und viel zu jung. Ich habe sozusagen Heiraten gespielt. Mich auf einen eigenen Hausstand wie auf eine neue Puppenstube gefreut.
Ich hatte ein atemberaubendes Brautkleid. Viel Stoff und eine enganliegende Korsage. Auf meinen flachen Bauch waren meine Eltern besonders stolz. Ich ›musste‹ nicht heiraten. Eine Schwangerschaft war damals der übliche Grund für eine Ehe.
Die Hochzeitsfeier war wunderschön. Wir haben bis in die Morgenstunden getanzt. Dann sind wir todmüde ins Bett gefallen.
Ich bin vor Gerold aufgewacht und habe in der Küche das Frühstück vorbereitet. Schon in diesem Haus. Gerold hatte es von seinen Eltern zur Hochzeit überschrieben bekommen.
Ich weiß noch, wie aufgeregt ich war, als ich mit dem Frühstückstablett zu ihm ins Schlafzimmer ging. Ich hatte ein Nachthemd aus weißer Seide und Spitze an. Es sah aus wie ein Unterrock. Vielleicht war es sogar einer.
Wir haben zusammen im Bett gefrühstückt. Gerold war liebevoll wie immer, aber es war eine ungewohnte Spannung zwischen uns. Eine unbestimmte Erwartung. Ich habe ihm vertraut und gewartet. Schließlich war er sechs Jahre älter als ich. Meinen Erfahrungsschatz, was Sex anging, hatte ich aus der ›Bravo‹ von Dr. Sommer und aus dem Kuhstall. Ziemlich verwirrend, das kann ich dir sagen.«
»Ihr habt vorher nicht miteinander …?«, platze ich dazwischen und ärgere mich im gleichen Augenblick. Aber der Gedanke ist so unvorstellbar.
»Nein«, bestätigt Tomke ganz ruhig. »Wir haben vor der Hochzeit nicht miteinander geschlafen.«
Sie sieht mich an: »Danach auch nicht. Wir haben überhaupt nie miteinander geschlafen.«
Für einen Augenblick hört man nur das Ticken der Küchenuhr.
Ich versuche, das Gesagte zu verstehen, denn ich bin sicher, dass Tomke keine Witze macht.
»Und deine Kinder?«, rufe ich verunsichert.
»Willst du nun die ganze Geschichte hören oder nicht?«, fragt mich Tomke. Aber sie ist nicht beleidigt.
Ich nicke: »Ja, will ich. Tut mir leid, ich bin sonst geduldiger.«
Tomke
Weitere Kostenlose Bücher