Fuchs, Du Hast Die Gans Gestohlen
einen Cinzano mit Zitrone nach dem anderen, während ihr neuer Freund bezahlte.
Bedrückung und Bitterkeit legten sich Simon schwer aufs Gemüt, verstärkt durch das unangenehme, bitter schmeckende, wie dünner Tee aussehende Gebräu – vom Wirt
»Lager« genannt –, das er trank. Der Misanthrop spülte die Bierpumpen nur selten aus. Morgen war Freitag, und Simon mußte die gerichtliche Untersuchung durchstehen. Man würde ihn auffordern, auszusagen, zu erklären, warum er was gemacht hatte. Der Coroner würde es auf ihn abgesehen haben, ihn fragen, was er bezweckt hatte. Würde versuchen, ihn so weit zu bringen, daß er sich in der Falle seiner eigenen Worte fing; würde versuchen, ihn durch Tricks zu verleiten, daß er sagte, er habe die Absicht gehabt, sie zu verletzen. Er würde ihnen gar nichts sagen. Colin hatte ihn ermahnt, sich auf die grundlegenden Fakten zu beschränken.
»Denk dran, sie haben den Unfall gesehen, also kannst du nicht abstreiten, was du getan hast, aber du kannst leugnen, daß du ihr schaden wolltest. Sprich klar und deutlich, sei offen und schau sie direkt an. Verwickle dich nicht in Widersprüche. Entschuldige dich.« Die Entschuldigung würde ihm im Hals stekkenbleiben, aber Colin bestand darauf.
»Sag, wie leid es dir tut. Dir sei nicht klar gewesen, daß sie vom Pferd fallen könnte.«
Eine Welle von Selbstmitleid schlug über Simon zusammen. Nach allem, was er morgen durchmachen mußte, hätte Micky sich wirklich heute abend aufraffen und ein Glas mit ihm trinken können. Selbst die Gesellschaft der Mädchen hätte ihm genügt. Sie hatten ihn im Stich gelassen. Nicht, daß er Besseres von ihnen erwartet hätte. Sie wollten ihn loswerden. Er verzog das Gesicht, setzte das noch halbvolle Glas Lager ab und stand auf. Er hatte genug. Er wollte in die Jubilee Road zurück, wo er ganz allein sein würde. Die anderen waren inzwischen bestimmt nicht mehr da. Ein Bild, wie sie sich im Bunch of Grapes amüsierten, schoß ihm durch den Kopf, es stieß ihm sauer auf, und sein Magen verkrampfte sich. In diesem Moment haßte er alle Welt. Und zu Hause wartete Arbeit auf ihn. Er latschte zur Tür und drängte sich im Hinausgehen grob an der Wasserstoffblonden und ihrem Begleiter vorbei.
»Schau dir den an!« sagte die Blonde entrüstet und klopfte sich den Ärmel ab, wo Simon ihn gestreift hatte.
»Keine Manieren, und ausgesehen hat er wie etwas, das die Katze ins Haus geschleppt hat.«
»Ich habe zwei von der Sorte zu Hause«, sagte der Geschäftsmann düster.
»Ihre Privatschulen, Klavierstunden, Auslandsreisen haben mich ein Vermögen gekostet – jetzt kann keiner der beiden sich in einer Stellung halten, und nie hört man ein anständiges Wort von ihnen. Lungern den ganzen Tag im Haus herum – rühren keine Hand, um ihrer Mutter zu helfen. Ich weiß nicht, warum.«
»Du brauchst mir nichts zu erzählen, mein Lieber«, sagte die Blonde und tätschelte ihm die Hand. Echtes Mitgefühl zeigte sich in ihren mit Mascara verschmierten Augen und ersetzte das rein berufliche Interesse, mit dem sie vorher seinen Klagen zugehört hatte.
»Ich kenne das. Ich habe eine Tochter – sie ist neunzehn. Ist nach London abgehauen und schreibt nie, greift nie zum Telefon. Ist natürlich mit ’nem Kerl gegangen. Er taugt nichts, hab ich sie gewarnt, aber sie hat nicht auf mich gehört. Jetzt weiß ich nicht, wo sie ist oder was sie macht. Und doch hat ihr, als sie ein kleines Mädchen war, nie etwas gefehlt. Ich habe dem Kind alles gekauft, was es wollte. Um ihre Ballettstunden bezahlen zu können, ihre Strumpfhosen, die Tutus und Ballettschuhe und weiß Gott was, habe ich auf alles verzichten müssen. Schau mal …«
Sie kramte in ihrer Plastikhandtasche und zog eine Mappe heraus. Fotografien flatterten auf den schmierigen, bierfleckigen Tisch.
»Das ist meine Cindy mit sechs. Ich hab immer dafür gesorgt, daß sie wie eine kleine Prinzessin aussah.«
Der Geschäftsmann präsentierte ebenfalls eine Fotomappe.
»Das sind meine beiden Jungs, aufgenommen bei einem Familienurlaub auf Mallorca. Wenn ich überlege, was ich für diese Familienurlaube ausgegeben habe … Hätte ich damals gewußt, was ich heute weiß, hätte ich das Geld behalten und mir einen Sportwagen gekauft.«
Ihre über das Durcheinander von Fotografien gebeugten Köpfe berührten sich – Fotografien, die ihr vergangenes Leben verkörperten, ihre zunichte gewordenen Hoffnungen, ihre zurückgewiesene Liebe, für wenigstens eine
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