Fuchs, Du Hast Die Gans Gestohlen
»einen Bohnenschmortopf gemacht.«
»Oh, noch immer Vegetarierin, Tante Lou?«
»Natürlich«, fauchte Tante Lou unwirsch. »Was sollte ich sonst sein? Glaubst du, ich hätte so lange gelebt, wenn ich Fleisch essen würde?«
Das Wohnzimmer hatte sich nicht sehr verändert. Dieselben altehrwürdigen Teller schimmerten hinter den Glastüren eines Schranks aus Nußbaumholz. In einer Ecke tickte leise die Standuhr. Gehäkelte Schondeckchen schmückten die Rückenlehnen aller Sessel, obwohl es viele Jahre her war, daß ein Gentleman mit Pomade in den Haaren in einem davon gesessen hatte.
»Die«, sagte Tante Lou, ließ sich steif in einen Sessel nieder und zeigte mit dem Stock auf den Schrank aus Nußbaumholz, »gehören dir.«
»Oh, die Teller?«
»Ja, sie stehen in meinem Testament. Ich hatte die Absicht, sie dir zur Hochzeit zu schenken. Aber du hast nicht geheiratet und wirst es, glaube ich, auch nicht mehr tun.« Tante Lou faßte Meredith scharf ins Auge. »Du siehst doch nicht schlecht aus, Mädchen. Gibt es denn da, wo du bist, keine jungen unverheirateten Kerle? Als ich jung und Roger im Kolonialdienst war, waren junge, alleinstehende Europäerinnen sehr gefragt. Mädchen, die hier im Land keinen Mann finden konnten, wurden in die Kolonien geschickt, um sich dort einen zu suchen, und hatten nur selten keinen Erfolg.«
»Ja, Tante Lou, aber ich denke nicht ans Heiraten.«
»Wirklich nicht?« sagte Tante Lou unliebenswürdig. »Der Zufall wäre eine feine Sache, möchte ich behaupten. Es geht nicht danach, was du denkst, mein Mädchen, es geht danach, was der Mann denkt. Und warten die Mädchen heutzutage nicht mehr darauf, daß sie gefragt werden?«
»Nicht immer, glaube ich, Tante Lou. Ich denke, es ist durchaus üblich, daß sie fragen.«
Tante Lou sah leicht verblüfft aus, aber nicht lange. »Nun ja, ich finde ein solches Benehmen nicht üblich, sondern gewöhnlich. Dein Problem, mein Mädchen, ist, daß du zu unabhängig bist. Das tut nicht gut. Natürlich sollte ein Mädchen wissen, was es will, und nur wenige Männer mögen Frauen, die klammern, aber man kann Unabhängigkeit auch zu weit treiben.«
»Nur gut, daß ich mir meine Brötchen selbst verdienen kann, meinst du nicht auch?«
Tante Lou sah bedrückt aus. »Zu meiner Zeit war das anders. Ich sage wirklich nicht, daß alles sich zum Schlechten verändert hat. Viele Mädchen heirateten damals übereilt und bereuten es hinterher, weil sie Angst gehabt hatten, sitzenzubleiben. Aber jetzt gibt es lauter Scheidungen, und auch die Verheirateten benehmen sich sehr merkwürdig. Das lese ich in meiner Zeitung. Diese Frau über mir.« Tante Lous Gehstock stieß kriegerisch gegen die Decke. »Männer kommen und gehen. Bin mit dem Zählen nicht mehr mitgekommen. Und nimm Mr. Ballantyne von nebenan – er ist ein reizender alter Gentleman mit guten Manieren, muß – oh – so um die Siebzig sein.«
»Bei ihm gehen die Frauen ein und aus?« fragte Meredith unschuldig.
»Benimm dich!« befahl Tante Lou. »Natürlich nicht.«
»Ich habe eine Frau aus dem Haus kommen sehen, als ich kam, ziemlich schmales Gesicht, gut angezogen. Sie schien wütend zu sein.«
»Das war bestimmt seine Tochter Felicity, ich wollte dir von ihr erzählen, also unterbrich mich nicht immer«, sagte Tante Lou streng. »Mr. Ballantyne kommt ab und zu auf ein Glas Wein zu mir.« Meredith wußte, daß damit ein schwerer, süßer Sherry gemeint war. »Er ist Witwer. Ein ziemlich wohlhabender Mann, glaube ich. Lebt ganz allein in diesem großen Haus, und jeden Tag kommt eine Frau, die saubermacht und kocht. Er hat sein Haus nicht halbiert wie ich. Ich wünschte, ich hätt’s nicht getan. So merkwürdige Leute über mir, und man hat keine Kontrolle darüber, wer hier wohnt. Ich war schlechtberaten.«
»Du wärst mit dem ganzen Haus nicht mehr fertiggeworden, Tante Lou.«
»Nun, ich hätte ein anderes Arrangement treffen können. Aber ich habe dir von Mr. Ballantyne erzählt. Er hat nur die eine Tochter, und dieses Mädchen bereitet ihm großen Kummer. Er erzählt mir davon. Braucht jemanden, dem er sich anvertrauen kann. Sie hat einen sehr unpassenden Mann geheiratet. Ich habe ihn ein paarmal gesehen, und er hat nie einen guten Eindruck auf mich gemacht. Aber er kommt selten, nur wenn er will, daß Mr. Ballantyne in eines seiner Projekte oder für einen seiner Pläne Geld herausrückt, was Mr. Ballantyne seiner Tochter zuliebe gewöhnlich tut. Das ist alles falsch. Meist besucht Felicity ihren
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