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Fuchsjagd

Titel: Fuchsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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Kopf. »Die Wahrheit ist einfacher, denke ich. Ein Verstand, der nichts zu tun hat, ist die Werkstatt des Teufels, und Leo hatte nie Lust, seinen Kopf anzustrengen.«
    Über Elizabeth erzählte sie: »Sie führte neben Leo ein Schattendasein. Und deshalb lechzte sie natürlich nach Anerkennung, das arme Kind. Sie liebte ihren Vater abgöttisch und bekam die schlimmsten Wutanfälle, wenn sie ihn in Uniform sah, vermutlich weil sie wusste, dass das bedeutete, er würde bald wieder fortgehen. Ich weiß noch, einmal, da war sie acht oder neun, hat sie die Hosenbeine seiner Uniformhose abgeschnitten. Er hat sie furchtbar ausgeschimpft, und sie weinte und schrie und sagte, er hätte es verdient. Als ich sie fragte, wieso sie das sage, erklärte sie, sie hasse ihn in Uniform.« Erneutes Kopfschütteln. »Sie war ein sehr verwirrtes junges Mädchen. James gab Leo die Schuld, der sie mit seinen Freunden bekannt gemacht hatte… Ich machte wieder unsere häufigen Abwesenheiten dafür verantwortlich. Als sie achtzehn wurde, war sie uns völlig entglitten. Wir brachten sie in einer Wohngemeinschaft mit ein paar Freundinnen unter, aber das meiste, was sie uns über ihr Leben erzählte, waren Lügen.«
    Ihre eigenen Gefühle waren zwiespältig. »Man kann nicht aufhören, seine Kinder zu lieben«, sagte sie. »Man hofft immer, dass sich alles zum Besseren verändern wird. Aber sie hatten irgendwann die Werte, die wir ihnen beigebracht hatten, über Bord geworfen und fanden, die Welt sei ihnen etwas schuldig. Das hat zu so viel Groll geführt. Ihrer Meinung nach fließen die Gelder nur deshalb nicht mehr, weil ihr Vater so ein Geizhals ist. Sie sehen nicht ein, dass sie einmal zu oft mit dem Krug zum Brunnen gegangen sind.«
    Mark hockte sich auf die Fersen zurück, als das Feuer aufloderte. Seine Gefühle Leo und Elizabeth gegenüber waren alles andere als zwiespältig. Er konnte sie beide nicht ausstehen. Sie waren nicht bescheiden mit dem Krug zum Brunnen gegangen. Sie hatten eine Pipeline eingerichtet, die sich mit Hilfe emotionaler Erpressung, deren bevorzugte Mittel Familienehre und elterliche Schulgefühle waren, jederzeit anzapfen ließ. Seiner Meinung nach war Leo ein spielsüchtiger Psychopath und Elizabeth eine alkoholsüchtige Nymphomanin. Er konnte das Verhalten der Geschwister beim besten Willen nicht im Lichte »mildernder Umstände« sehen. Das Leben hatte ihnen alle Möglichkeiten gegeben, und sie hatten nichts aus ihnen gemacht.
    Ailsa war über Jahre Wachs in ihren Händen gewesen, hin und her gerissen zwischen mütterlicher Liebe und Schuldgefühlen wegen ihres Scheiterns. Wie für Vera war für sie Leo der blauäugige Engel gewesen. Immer wenn James den Exzessen seines Sohnes einen Riegel vorschieben wollte, war sie ihm mit ihren Appellen in den Arm gefallen, ihm doch »eine zweite Chance« zu geben. Es war kein Wunder, dass sich Elizabeth nach mehr Aufmerksamkeit sehnte, und auch kein Wunder, dass sie unfähig war, Beziehungen einzugehen. Leo beherrschte die Familie mit seiner Persönlichkeit. Seine Launen stifteten Unfrieden. Keinen Moment durfte irgendjemand vergessen, dass es ihn gab. Wenn er wollte, konnte er jeden bezirzen; wenn nicht, machte er seiner Umgebung das Leben zur Hölle. Auch Mark…
    Das Läuten des Telefons drängte sich in seine Gedanken, und als er den Kopf hob, sah er den Blick des Colonel auf sich gerichtet.
    »Gehen Sie ruhig hin, und hören Sie es sich an«, sagte der Colonel und hielt ihm einen Schlüssel hin. »Vielleicht hören sie auf, wenn sie Sie in der Bibliothek sehen.«
    »Wer denn?«
    Ein müdes Kopfschütteln. »Sie wissen offensichtlich, dass Sie hier sind«, war die einzige Antwort.

    Als Mark ins Zimmer trat, glaubte er zuerst, der Anrufer hätte aufgelegt, aber als er sich zum Anrufbeantworter auf dem Schreibtisch hinunterbeugte, hörte er Atemgeräusche über den Lautsprecher. Er hob den Hörer ans Ohr.
    »Hallo?«
    Keine Antwort.
    »Hallo? – Hallo?…« Am anderen Ende wurde aufgelegt. Was zum Teufel…?
    Aus Gewohnheit wählte er die 1471 und suchte nach einem Stift, um die Nummer des Anrufers zu notieren. Ganz unnötig, wie sich zeigte, als er der Computerstimme lauschte und sein Blick gleichzeitig auf ein abgerissenes Stück Karte fiel, das mit derselben Nummer darauf und dem Namen »Prue Weldon« daneben an einem altmodischen Tintenfass lehnte. Verwundert legte er den Hörer auf.
    Der Anrufbeantworter war ein älteres Gerät, das noch mit Bändern statt mit

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