Fuchsjagd
überzeugt ist: dass Leo seine Mutter aus Wut darüber getötet hat, dass sie ihm kein Geld mehr geben wollte, und dass seinem Vater, also James, das gleiche Schicksal droht, wenn er es wagt, das Geld wegzugeben. Warum hat er irgendwann nach dem ersten und vor dem zweiten Brief an mich plötzlich beschlossen, mich aus allem herauszuhalten? Was hat sich zwischen Oktober und November geändert?«
»Sie haben ihm in Ihrem Brief sehr nachdrücklich mitgeteilt, dass Sie an seinem Geld nicht interessiert seien und sich nicht deswegen mit Leo streiten wollten. Vermutlich hat er sich das zu Herzen genommen.«
»Aber darum geht es doch nicht?«
Er sah sie verwirrt an. »Nein? Worum dann?«
Nancy antwortete mit einem Schulterzucken. »Wenn sein Sohn so gefährlich ist wie in der Fabel angedeutet, warum hatte er dann nicht von Anfang an Bedenken, mich einzubeziehen? Ailsa war schon mehrere Monate tot, als er Sie beauftragte, mich zu suchen. Und schon als er seinen ersten Brief an mich schrieb, war er überzeugt, Leo habe etwas mit ihrem Tod zu tun. Aber das hat ihn nicht gehindert, sich mit mir in Verbindung zu setzen.«
Mark folgte ihren Überlegungen Schritt für Schritt. »Aber beweist denn das nicht gerade, dass Sie zu viel in das hineinlegen, was er geschrieben hat? Wenn James geglaubt hätte, er brächte sie in Gefahr, hätte er mich nicht beauftragt, Sie zu suchen – und wenn ich irgendwelche Zweifel gehabt hätte, hätte ich es nicht getan.«
Wieder ein Schulterzucken. »Aber warum dann dieser totale Umschwung im zweiten Brief? Warum dieses Versprechen, mich aus allem herauszuhalten und dafür zu sorgen, dass meine Anonymität gewahrt bleibt? Ich erwartete eigentlich eine mehr oder weniger schroffe Erwiderung in dem Sinn, dass ich die ganze Sache in den falschen Hals bekommen hätte. Stattdessen entschuldigte er sich dafür, mir überhaupt geschrieben zu haben.« Aus seiner plötzlich beunruhigten Miene schloss sie, dass sie sich nicht klar genug ausdrückte. »Für mich heißt das, dass jemand ihm zwischen dem ersten und dem zweiten Brief ganz gehörige Angst eingejagt hat«, sagte sie. »Und ich vermute, es war Leo, denn vor ihm scheint James wirklich Angst zu haben.«
Sie blickte ihm forschend ins Gesicht und bemerkte die plötzliche vorsichtige Verschlossenheit seines Ausdrucks.
»Kommen Sie, reden wir da drüben auf der Bank weiter«, sagte sie impulsiv und machte sich schon auf den Weg zu einer Holzbank mit Blick über das Tal. »Hat James seinen Sohn zutreffend beschrieben?«
»Absolut«, bestätigte Mark, der ihr folgte. »Er kann unwiderstehlich sein – bis man ihm in die Quere kommt, dann wird er ekelhaft.«
»Sind Sie ihm schon mal in die Quere gekommen?«
»Ich habe James und Ailsa vor zwei Jahren als Mandanten gewonnen.«
»Was ist daran nicht in Ordnung?«, fragte sie, während sie um die Bank herumging und prüfend die durchfeuchteten Holzleisten musterte.
»Bis ich auf der Bildfläche erschien, war Leos bester Freund der Anwalt der Familie.«
»Interessant.« Sie nickte zum Sitz hinunter. »Würden Sie mir einen Zipfel Ihres Ölmantels zur Verfügung stellen, damit meine vier Buchstaben trocken bleiben?«
»Selbstverständlich.« Er öffnete die Metallklips. »Mit Vergnügen.«
In ihren Augen blitzte gutmütiger Spott. »Sind Sie immer so höflich, Mr. Ankerton, oder werden die Enkelinnen von Mandanten bevorzugt behandelt?«
Er schlüpfte aus dem Ölmantel und warf ihn über den Sitz, wie einst Sir Walter Raleigh seinen Mantel vor Königin Elizabeth über eine Pfütze gebreitet hatte. »Enkelinnen von Mandanten werden bevorzugt behandelt, Captain Smith. Man weiß ja nie, wann – oder ob – man sie erbt.«
»Dann werden Sie sich umsonst zu Tode frieren«, warnte sie. »Denn von mir ist nichts zu holen. Unter diesen Umständen ist die galante Geste wohl etwas übertrieben. Ich brauche nur ein Eckchen – Sie hätten den Mantel ruhig anbehalten können und einfach nur zu öffnen brauchen.«
Er setzte sich mitten auf die Bank und streckte die Beine aus. »Ich habe viel zu viel Angst vor Ihnen«, erklärte er. »Wo hätte ich denn meinen Arm hintun sollen?«
»Ich hatte nicht vor, Ihnen so nahe zu kommen«, erwiderte sie, unbequem neben ihm auf dem kleinen Fleckchen kauernd, das noch blieb.
»Es ist aber unvermeidbar, wenn man auf dem Mantel eines Mannes sitzt, den dieser noch anhat.«
Er hatte tief braune, beinahe schwarze Augen, und es war zu viel Erkennen in ihnen. »Sie sollten
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