Fucking Munich
Christian. Mehrmals war er an Tims Wohnung vorbeigegangen und hätte beinahe bei ihm geklingelt. Der Kleine war sein Sonnenschein, seine heimliche Liebe. Chris träumte von Tim, dachte an ihn, wenn er sich einen runterholte, und stellte sich oft vor, wie es wäre, mit ihm zusammen zu sein, mit ihm durch die Terminals zu schlendern, etwa zu Smokey Joe’s Imbisswagen, der aussah wie ein Flugzeug, um mit Tim eine Currywurst zu essen. Danach würden sie sich ein frisches Bier im Airbräu genehmigen, Hand in Hand auf den Besucherhügel hinaufschlendern und auf die Landebahn oder die historischen Flugzeuge hinabsehen. Mehr erlaubte Chris sich nicht. Zwar sehnte er sich nach einem Partner, einer festen Beziehung, Liebe … aber Tim war so jung! Daher nannte Christian ihn in Gedanken auch «Kleiner». Immerhin lagen fünfzehn Jahre zwischen ihnen.
Nein, da würde nie etwas laufen – der Altersunterschied war einfach zu groß. Außerdem war Chris einmal sehr schwer verletzt worden. Es hatte Ewigkeiten gebraucht, bis er sich davon erholt hatte.
Tim studierte Mediendesign, wie Christian bei den kurzen Gesprächen während der Kontrollen herausgefunden hatte, und er besuchte regelmäßig seinen Vater in London. Wie konnte ein Student sich das alles leisten?
Christian hätte ihn gerne so vieles gefragt.
Seine Unruhe wuchs. Wo blieb der Kleine denn heute? Ständig starrte Chris auf die Fluggäste, die sich vor dem Eingang stauten, und hielt nach einem braunen Schopf Ausschau. Da Tim recht groß war – fast so groß wie er –, erblickte Christian ihn meist von weitem, aber an diesem Freitag war der Andrang enorm. Ferienzeit.
Trotz Aufregung erledigte er pflichtbewusst seinen Job. Eben scannte er einen Fluggast, als sein Kollege Frederik, mit dem er seit fünf Jahren zusammenarbeitete, neben ihn trat.
«Ist grad reingekommen.» Fred überreichte ihm einen Computerausdruck. «Wenn uns der Typ unterkommt, sollen wir ihn sofort abführen.»
Chris blinzelte. Nein, das war unmöglich! In seiner Brust wurde es eng. Das Bild zeigte Tim!
Hastig überflog er den Text. «Drogen?»
Fred nickte. «Unsere Londoner Kollegen sind einem Schmugglerring auf der Spur. Angeblich soll es ein oder zwei Mittelsmänner in Deutschland geben, die Heroin durch den Zoll schmuggeln.»
Chris blieben die Worte im Hals stecken. Doch nicht Tim!
Seine Gedanken überschlugen sich. Eben hatte er sich noch gefragt, wie der junge Mann sich die vielen Flüge leisten konnte. Was, wenn es in London gar keinen reichen Vater gab?
«Wieso gerade dieser Mann?», fragte er und versuchte, seine Stimme möglichst normal klingen zu lassen.
«Die Beschreibung passt gut, außerdem nimmt er regelmäßig denselben Flug, und das schon seit Monaten. Er ist einer von zwei Hauptverdächtigen.» Fred zeigte ihm einen weiteren Steckbrief, den Chris kaum wahrnahm.
Das ergab doch keinen Sinn! Würde jemand, der Drogen schmuggelte, nicht darauf achten, unauffällig zu bleiben? Wobei – was war schon unauffällig?
Verfluchte Scheiße! Hatte er sich in einen Dealer verliebt?
Wie in Trance kontrollierte er die nächsten Gäste und nahm die Lautsprecherdurchsagen und das Stimmengewirr nur noch gedämpft wahr.
«Da ist einer der beiden», flüsterte Fred und nickte zum Gepäckscanner. Tim legte gerade seine Schuhe und den Rucksack in eine Plastikbox. Ansonsten trug er bloß Jeans und ein violettes T-Shirt.
Wie immer, wenn Chris den jungen Münchner sah, schoss ihm Hitze ins Gesicht, und seine Hände fingen an zu zittern. Tim war groß, schlank, gutaussehend. Ein Traum von einem Mann. Dazu definitiv an ihm interessiert, denn er grinste in seine Richtung. Die schüchternen, aber intensiven Blicke gingen Chris durch und durch.
Oder war das nur Ablenkung? Taktik? Damit er Tim nicht so streng kontrollierte?
O mein Gott, und er war auf diese Masche auch noch reingefallen!
Sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen, ihm wurde übel.
Fred rempelte ihn an. «Komm schon, Bernd übernimmt.»
Chris gab seinem grauhaarigen Kollegen, dessen Herannahen er nicht registriert hatte, den Handscanner und setzte sich in Bewegung. Vor Tim blieben sie stehen.
«Kommen Sie bitte mit uns», sagte Fred zu ihm. Sofort reckten einige Passagiere neugierig ihre Hälse.
Tims Lächeln erlosch. «Warum?»
«Das erklären wir Ihnen gleich.»
Tim schlüpfte in seine Sneaker und wollte den Rucksack auf der anderen Seite des Röntgengeräts aus der Plastikbox holen, aber Chris nahm ihn an
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