Führe mich nicht in Versuchung
hatte nicht den Mut gefunden, Damien oder Max über seinen Verbleib zu befragen.
Sie hätte diesen Abend nie überstanden, wäre da nicht Maxens zärtliches Lächeln und seine sanfte Stimme gewesen, die ihr befahl »sieh mich an ... nur mich ... lächle für mich ... nur für mich ...« Er hatte sie berührt und ihr ins Ohr geflüstert und ihr zugelächelt, und jede seiner Handlungen war eine neue Waffe gegen die Gehässigkeit der Gesellschaft gewesen, mit der er sie - und nur sie allein - beschützte.
Für den Rest des Abends war sie wie auf Wolken dahingeschwebt - sicher in ihrem Glauben, dass Max sie liebte.
Aber dann hatten sie den Ball verlassen, und sie hatte in der Kutsche unter seinem eisigen Blick zu zittern begonnen.
Max und Damien hatten beide schweigend aus ihren Fenstern gestarrt. Auch Jillian und LadyLou waren still gewesen und hatten aus dem Fenster gesehen, bis der Kutscher vor Maxens Haus anhielt.
»Damien, mit deiner Erlaubnis würde ich Jillian morgen gerne einen Besuch abstatten«, bat Max höflich, nachdem er auf den Bürgersteig getreten war.
»Aus welchem Grund?« erkundigte sich Damien.
»Es ist Sitte, dass man seiner Verlobten einen Ring schenkt«, erwiderte Max.
»Erlaubnis erteilt«, erwiderte Damien.
Sie haßte das formelle Gebaren zwischen ihnen. Aber schlimmer noch war der durchdringende Blick gewesen, den Max ihr zugeworfen hatte, bevor er sich umdrehte und davonging. Sie hätte schwören können, dass Wut und Verrat in seinen Augen brannten.
Da hätte sie sogar das höfliche Nicken bevorzugt, das er LadyLou gönnte. Vielleicht hätte sie sich dann nicht so schuldig gefühlt. Vielleicht hätte sie dann nicht so schreckliche Angst gehabt, dass Max die wahre Rolle, die sie bei allem spielte, erahnen könnte.
Aber nein, tröstete sie sich, Max konnte unmöglich etwas vermuten. Es war düster gewesen, und das Mondlicht hatte wohl das übliche Strahlen seiner Augen verändert. Im übrigen war er müde gewesen. Der Abend hatte sie alle mitgenommen. Und morgen würde er sie besuchen, um ihr einen Ring zu überreichen und sie zu bitten, seine Frau zu werden.
Und sie wollte ihn mit Locken empfangen. Das kam ihr ungeheuer romantisch vor. Nachdem sie ihre Zöpfe geflochten hatte, ging sie zur Schüssel hinüber und betupfte ihr Haar mit Wasser.
Dann legte sie sich mit feuchten Zöpfen ins Bett und beobachtete verträumt, wie sich die Bettvorhänge in der leichten Brise, die vom Fenster herüberkam, bewegten.
Alles war genau richtig. Ihr grünes, besticktes Kleid, das sie für diesen Anlass gewählt hatte, schien bei jedem ihrer Schritte um sie herumzufließen, und die Seide glitzerte im Licht, als sei sie mit Morgentau bedeckt. Der Duft von Teerosen umgab sie und unterstrich die rosige Farbe ihrer Wangen. Welch ein glücklicher Umstand, dass sie mit solch einer frischen Farbe und strahlenden Augen erwacht war. Und ihr Haar ... Warum nur hatte sie dies nicht schon früher einmal ausprobiert? fragte sie sich, während sie sich den Hals verrenkte, um zu sehen, in welch weichen Korkenzieherlocken es über ihren Rücken hinabfiel.
Sie war sicher, dass sie hübsch aussah. Clancy hatte es ihr auch gesagt.
Sie starrte auf ihr Spiegelbild. Vielleicht sollte sie eine dritte Meinung einholen.
Sie suchte LadyLou im Salon auf.
»Jillian«, sagte LadyLou und legte ihr Buch zur Seite. »Du siehst wunderhübsch aus. Wie hast du es nur geschafft, deine -« Sie verstummte, als Damien das Zimmer betrat. Max folgte ihm mit kurzem Abstand.
Jillian hörte ihr sowieso nicht zu. Sie hatte nur Augen für Max. Seine Schultern füllten sein dunkelblaues Jackett vollkommen aus, und eine rehbraune Hose und die hohen, schwarzen Stiefel betonten seine langen Beine. Sein Tuch war sorgfältig gebunden, und aus seinem gebräunten Gesicht strahlten die dunkelblauen Augen.
Er sah so gut aus, so wunderschön.
Und er gehörte ihr.
Jillian wagte kaum, sich zu rühren, aus Angst, dass das Prickeln und Brennen ihres Körpers irgendwie ihr Aussehen beeinträchtigen könnte, ehe Max sie erblickt hatte.
Aber er trat nur einen Schritt weit ins Zimmer hinein. Seine Distanziertheit erschreckte sie. »Ich würde dies gerne ohne Zuschauer tun«, sagte er und blickte vielsagend erst zu LadyLou und dann zu Damien hinüber.
Damien starrte ihn wütend an. »Erwartest du etwa, dass ich dich mit meiner Schwester allein lasse?«
Jillian zuckte beim Klang dieser feindseligen Stimme zusammen.
»Damien«, sagte LadyLou ruhig.
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