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Fünf alte Damen

Fünf alte Damen

Titel: Fünf alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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Haus. Es war ein Altbau, der den Endsieg überlebt
hatte. Ich hielt an und blieb im Wagen sitzen. Die gleichen Bedenken erfaßten mich
wie vorhin vor dem Klingelschild der toten Klavierlehrerin. Was in aller Welt
trieb ich bloß hier? Schon den zweiten Mann an diesem Tag wollte ich mit einem
Quatsch belästigen, der auf nichts als auf Vermutungen aufgebaut war, aus denen
nicht einmal Sherlock Holmes der Unsterbliche einen Fall hätte machen können.
Es war nichts als eine verdammte Neugierde, unwürdig eines aufrechten Mannes
von einsfünfundneunzig. Ich griff zum Zündschlüssel.
    In diesem Augenblick fuhr ein
Volkswagen an mir vorbei, der ein ganz naher Verwandter von meinem sein mußte.
Es war der gleiche alte Schlitten mit verblichenem Lack und halbblindem Chrom,
und sein Motor knallte ebensolche unreinen Töne in die laue Mailuft wie meiner,
wenn er lief. Der Wagen fuhr zur Bordkante heran und hielt fünf Meter vor mir.
Auf seiner hinteren Stoßstange, deren rechtes Horn melancholisch nach unten
hing, sah ich ein kleines weißes Schild mit einem roten Äskulapstab, dem
Abzeichen unserer weltweit verbreiteten Gilde. Ich ließ meine Hand vom Schlüssel
und wartete.
    Die linke Tür öffnete sich mit leichtem
Kreischen. Heraus stieg ein pausbäckiger junger Mann von vielleicht
achtundzwanzig. Er hatte semmelblondes, kurzgeschorenes Haar, trug eine
Hornbrille und unter dem Arm eine Ledermappe, die der meinen so ähnlich war wie
mein Auto seinem Vordermann. Sein Anzug war leicht zerknittert und schlug
fröhliche Falten um die Figur.
    Kein Zweifel. Das mußte Ulrich, der
gute Lateiner, sein. Er hatte seine Besuche abgeklappert, genau wie ich und
nahezu in dem gleichen Auto. Trotz der vortrefflichen Praxis im Musikviertel
schienen die Einnahmen zu einem neuen noch nicht ausgereicht zu haben. Es war
wirklich der Fluch unseres Standes, schon in jungen Jahren die Grundlage für
den späteren Bandscheibenschaden zu schaffen, schneller als andere Grundlagen.
    Es gab mir neuen Mut, daß Ulrich es
offenbar nicht weiter gebracht hatte als ich. Er schien von meinem Kaliber zu
sein. Der Typ eines blasierten Hochschuldozenten hätte mich in die Flucht
geschlagen.
    Ich stieg aus und knallte meine Tür zu.
Er wandte den Blick zu mir und meinem Gefährt. Wir schlossen zu gleicher Zeit
unsere Türen ab, obwohl das nicht nötig gewesen wäre. Ich lächelte, und er
lächelte zurück.
    «Einundfünfzig, wie?»
    «Juli.»
    «Meiner August.»
    Wissendes Kopfnicken auf beiden Seiten.
Langsam schlenderte ich vorwärts.
    «Geht er noch einigermaßen?»
    «Er gibt sich Mühe. Braucht bloß ‘ne
Menge Öl.»
    «Wieviel drauf?»
    «Hundertsechzig. Sie?»
    «Hundertfünfundsiebzig.»
    «Oh, peinliche Zahl.»
    Wir lachten beide über meinen gigantischen
Witz. Es wurde Zeit, zur Sache zu kommen.
    «Ich sehe in Ihnen einen
Leidensgefährten, Herr Kollege», sagte ich.
    «Ach! Sie sind...»
    «Klein. Praxis Albrechtstraße. Sind Sie
Doktor Leopold?»
    «Das bin ich», sagte er. Wir
schüttelten uns die Hände.
    Zu meiner Freude schien es ihm gar
nichts auszumachen, daß ich mich in seiner Gegend herumtrieb. Seltener Fall.
«Entschuldigen Sie, wenn ich nach des Tages Last und Müh noch hier aufkreuze»,
fuhr ich fort. «Wenn es Ihnen paßt, hätte ich Sie gern kurz gesprochen.»
    «Kommen Sie, Kollege, kommen Sie»,
antwortete er. «Bei Ihnen bin ich sicher, daß Sie mir keine Beschwerden
schildern.»
    «Da sei Gott vor», sagte ich.
    Ich half ihm, die Haustür aufzustemmen.
Flur und Treppenhaus sahen so aus und rochen so wie beim Rektor. Als Zugabe war
ein Fahrstuhl da, mit Scherengitter und doppelter Schiebetür, früher bedient
von livrierten Fahrstuhlführern und heute meistens außer Betrieb. Leopold
fummelte mit einem gewaltigen Schlüssel daran herum, ich sah mich beim
Eintreten in einem trüben Spiegel, und dann hob sich das Ding wahrhaftig mit
uns in die Höhe.
    «Kaum zu glauben», sagte ich.
    «Ja. Meistens steht er fest. Das haben
die Altersherzen nicht gerne. Von den Arthrosen ganz zu schweigen. So. Sport
und Galanteriewaren. Bitte sehr.»
    Wir standen im zweiten Stock. Zwei
Türen lagen sich gegenüber. Neben der rechten prangte Leopolds Firmenschild.
Gleich darauf gewahrte ich die übliche herrschaftliche Diele. Aber sie war
freundlich eingerichtet, und die Türen glänzten in weißem Lack und trugen die
Schilder, die man von der Steuer absetzen kann.
    Sprechzimmer. Wartezimmer. Privat.
Toilette.
    Sogar ein Labor hatte er.
    «Wollen

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