Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fünf alte Damen

Fünf alte Damen

Titel: Fünf alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
Vom Netzwerk:
Köpfe zu gleicher Zeit
und sahen uns an. Die Wanduhr tickte leise über uns, sonst war nichts zu hören.
    «Ja», sagte Leopold und strich sich
über die Stirn. «Das war’s. So wird man an seine Erfolge erinnert. Aber im
Krankenhaus wäre es auch nichts geworden, ob sie ihr nun noch Sauerstoff unter
die Nase gehalten hätten oder nicht. Es war eben alle. Sie war immer auf Draht
gewesen, ihre Vitalkraft hatte bis dahin gelangt, und nun war’s alle. Was ist
daran unklar?»
    «Nichts», sagte ich.
    «Und was ist dran an der Geschichte?
Das kommt jeden Tag zehnmal vor. Das ist ein Fall, bei dem die Studenten im
Hörsaal nicht mal mehr aufwachen, wenn er vorgestellt wird! ‘ne alte Frau mit
‘ner Grippepneumonie! Da leert sich doch der Saal!»
    «Vollkommen klar», antwortete ich.
«Aber wie kommt der Alte jetzt auf einmal darauf, dran zu zweifeln? Und warum
rennt dieser Krompecher überall herum und schnüffelt nach unnatürlichen
Todesursachen? Wundert Sie das nicht?»
    «Mich wundert vieles», murmelte Leopold
und schwenkte die Karte in der Luft. «Aber nicht das. Diese Lunge, ihr Herz—
nee.»
    Und Bertha, dachte ich. Und das Bild.
    Ich fragte: «Hatten Sie viele
Grippefälle hier herum im Frühjahr?»
    Leopold schob die Karte an ihren Platz
zurück.
    «Nicht mehr als normal.»
    Er nahm seine Brille ab und putzte an
den Gläsern herum, mit dem typischen Blick des Brillenträgers ohne Gläser.
Blinzelnd, schielend, fremde Augen in einem anderen Gesicht.
    «Mancher hat eben Pech. In diesem Fall
war’s Alma. Und so hab ich’s auch dem Alten gesagt.»
    «Haben Sie ihn nicht gefragt, wie er
auf die Idee käme— »
    «Nein. Alte Leute kommen oft auf
seltsame Ideen, wenn sie plötzlich einsam sind und allein. Mir kam das so vor,
als könnte er sich nicht damit abfinden, nachdem die erste Betäubung weg war. Stellen
Sie sich vor, den ganzen Tag Klaviergeklimper und Singerei in der Bude— und
dann auf einmal Totenstille. Hat ihn sehr wahrscheinlich doch mitgenommen.»
    Ich dachte daran, wie wenig mitgenommen
der alte Mann heute ausgesehen hatte. Aber ich schwieg. Leopold setzte seine
Brille auf.
    «Na, kommen Sie, nehmen wir noch einen,
bevor er sauer wird.»
    «Allgemeine Zustimmung auf den Bänken
des Hauses», sagte ich. «Lassen wir die Toten tot sein.»
    Wir senkten den Spiegel in der Flasche
noch um ein paar Striche und erzählten dabei von früheren Zeiten, von
Professoren, die wir gemeinsam kannten. Schließlich kamen wir auf neue
Möglichkeiten, die Steuer im Rahmen des Gesetzes zu betrügen. Dann waren die
üblichen Themen unter Medizinern erschöpft, und für mich war es Zeit, nach
Hause und in mein Bett zu gehen.
    «Herr Leopold», sagte ich, «ich werde
mir erlauben, Sie zu passender Gelegenheit mit meinen Vorräten bekannt zu
machen. Für heute meinen tiefempfundenen Dank.»
    «Keine Ursache», antwortete er. «Allein
hätte ich das Doppelte getrunken, und das bekommt mir nicht.»
    Er brachte mich vor die Haustür. Mein
Motor donnerte in der Stille wie ein Schwarm von Düsenjägern. Ich machte, daß
ich wegkam, bevor irgendein Ministerialrat a. D. die Funkstreife alarmierte.
    Als ich meine Gemächer betrat, war es
halb zwölf. Ich war noch ein bißchen aufgedreht vom Geiste Napoleons und nicht
geneigt, so plötzlich vom Alkohol zu scheiden. Ich zog mir eine Flasche Pils
aus dem Eisschrank und setzte mich auf meinen Miniaturbalkon, der auf den Hof
hinausging. Das Mondlicht fiel über die Rückfronten unseres Karrees und
zeichnete die Schattenlinien der Teppichstangen über den Sandboden.
    Nur wenige Fenster glimmten noch. Hoch
über mir blinkten rhythmische Lichter eines Flugzeuges, das zur Landung ansetzte.
Langsam saugte ich das kühle Bier aus dem Flaschenhals. Meine dritte Sorte
heute. Ich sah den Schopenhauerkopf des Rektors mit seinem Faunlächeln und das
gutmütige Antlitz seines Schülers Leopold. Kein uninteressanter Tag, dem
Horoskop zum Trotz. Aber rausgekommen war nichts. Eine banale Lungenentzündung,
ohne die geringste Auffälligkeit. Drei tote alte Damen, zwei Kollegen, ein
Rektor außer Dienst und ein Rechtsanwalt im Dienst. Kein Zusammenhang, leere
Luft, wo man hinfaßte.
    Ach ja, und Mechthild, meine schöne
Stütze. Ich nahm einen tiefen Schluck. Sicher schlief sie jetzt schon, oben in
ihrem Zimmerchen in der Wendelstraße acht. Ich sah sie vor mir, mit schief
geneigten Flaumfedern .und Stupsnase, und plötzlich merkte ich, daß ich
lächelte im Dunkeln.
    Das Aufstehen am nächsten

Weitere Kostenlose Bücher