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Fünf alte Damen

Fünf alte Damen

Titel: Fünf alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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vergangenen Sonnabend.»
    Ich trank langsam und stellte mir eine
Frage.
    Warum war der Rektor erst jetzt
gekommen? Warum nicht sofort nach dem Tod seiner Schwester, wie Krompecher?
    Leopold kippte das edle Getränk in
einem Schwung hinunter, setzte das Glas hörbar auf die Tischplatte.
    «Nun sagen Sie mir bloß— »
    Ich sah ein, daß ich ihm für seine
Offenheit allerhand an Erklärung schuldig war. Fünfundneunzig von hundert
anderen hätten die Karten zugehalten wie ein Schotte seine Hosentasche, hätten
herumgeredet, Unwissen geheuchelt und zwischendurch auf die Uhr gesehen, wie
immer in unserem vortrefflichen Land, wo jeder vor jedem Angst hat. Nichts
davon bei Leopold— vom Cognac ganz zu schweigen.
    Ich erzählte, was mir mit Jenny Herwig
widerfahren war. Mechthilds Tante ließ ich aus, ebenso das Bild auf den
Nachttischen mit den höheren Töchtern. Es war sicher, daß bei Alma das gleiche
Bild gestanden hatte, auch wenn Leopold sich nicht mehr daran erinnerte.
Zwischendurch schwindelte ich ein bißchen.
    «Von der Schwester von Frau Herwig
hörte ich beiläufig, daß eine ihrer Bekannten vor acht Wochen plötzlich
gestorben wäre. Eben Frau Wiebach. Heute fahre ich hier rum und sehe den Namen
in der Beethovenstraße. Die ganze Zeit hatte mich die Neugier geplagt, was der
Krompecher wirklich gewollt hatte. Deswegen ging ich rauf und stieß auf Ihren
Schopenhauerrektor. Und der erzählte mir von Ihnen. Ich weiß nicht warum, aber
er tat es.»
    Leopold sah lächelnd und verträumt auf
den Tisch, und in diesem Augenblick sah er wirklich aus wie der ausgezeichnete
Lateiner kurz nach der Versetzung in die Oberprima.
    «Ach, er ist eine rührende Seele. Gar
nichts Besonderes, daß er mit Ihnen redete. Die ganze Schule kommt heute noch
zu ihm, würdige Herren, die schon Hosenträger brauchen und zu ihren Frauen
Mutti sagen— und er drückt sie alle noch an die Wand, mit Latein und Deutsch
und mit der Gesundheit.»
    «So kam er mir auch vor», sagte ich.
«Aber warum hat er diese Frage gestellt? Woher kommt denn die verdammte Idee,
daß irgendwas nicht in Ordnung wäre mit den alten Tanten?»
    «Ich fange an, auch neugierig zu werden»,
erwiderte Leopold und stand auf. «Kommen Sie— sehen wir uns die Karte an.»
    Ich folgte ihm ins Sprechzimmer. Wir
setzten uns an den Schreibtisch. Er kramte die Karte heraus, und dann
studierten wir sie im Schein des staubigen Lampenschirms aus grünem Glas wie
zwei Spione, die im Schoß der Nacht eine Meldung auswerten.
    Leopold machte die Karten wie ich. Nur
seine Vorgeschichten waren um vieles gründlicher als meine, und seine Schrift
konnte man besser lesen.
    «Sie nehmen einen roten Punkt bei den
Privaten? Ich male ‘n P in die Ecke, auch rot.»
    «Rot ist die Farbe des Goldes», sagte
er.
    Da stand sie. Alma Wiebach-Thomsen.
Geburtsdatum 28. 11. 87. Möglicherweise die älteste meiner Damen und gerade
noch in deren Klasse reingerutscht.
    Wohnung Beethovenstr. 6, I.
    Ehemann vor acht Jahren an Lungenkrebs
gestorben.
    «Wer war der Herr Thomsen?» fragte ich.
    «Universitätsprofessor. Alte
Geschichte, glaube ich. Habe ihn in der Praxis nicht erlebt. Nur ein paarmal
gesehen, als ich den Alten besuchte. Er war schon ziemlich fertig damals.»
    «Eine lausig gelehrte Familie.»
    «Kann man sagen.»
    Alma hatte als Kind Keuchhusten gehabt
und dann Scharlach mit Mittelohrvereiterung beiderseits. Der Blinddarm war
schon 1902 entfernt worden, sozusagen eine Pioniertat. Und dann hatte sie nie
wieder etwas gehabt, wie der Rektor gesagt hatte. Sie war in den letzten Jahren
immer mal zur Allgemeinuntersuchung bei Leopold gewesen, nichts Besonderes,
keine Befunde. Er hatte hin und wieder Besuche gemacht, sich nach dem werten
Befinden erkundigt, mit dem Rektor Rotwein getrunken, ich konnte mir den
Verlauf vorstellen. Und dann kam der Kladderadatsch. Anfang März Grippeinfekt,
Grippebronchitis, erst Pillen, dann Penicillin, dann Unterstützung des
Kreislaufes. Krankenhaus wird abgelehnt. Immer häufigere Besuche, trotzdem
Bronchopneumonie, feinblasige, klingende Rasselgeräusche über den Unterfeldern,
dann überall. Zuletzt Tag- und Nacht-Eilbesuche in dichter Folge. Ich sah
förmlich Leopold in sein altes Vehikel springen. Kreislauf miserabel, fürs Krankenhaus
sowieso zu spät. Und dann am 18. März das Kreuzchen, sauber gemalt.
Wahrscheinlich war er in Zeichnen und Kunstbetrachtung auch gut gewesen.
    ‹Exitus let. Totenschein ausgestellt.
Sektion nicht beantragt.›
    Wir hoben die

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