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Fünf alte Damen

Fünf alte Damen

Titel: Fünf alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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irgendeine Spur eines Leidens. Sie trug keine Brille, und ihr
Haar war noch nicht weiß. Sie hatte ein rundes, etwas derbes Gesicht mit wenig
Falten und von gesunder Farbe, wie eine Bäuerin, die sich siebzehn von
vierundzwanzig Stunden unter freiem Himmel bewegt. Die übrige Figur zeugte von
erfreulichem Appetit und zahlreichen Sitzungen hinter Kuchen mit Schlagsahne.
Nichts von der Zerbrechlichkeit der Freundinnen war an ihr, aber auch nichts
von der Würde und Autorität, wie ich sie an Agnes Lansome gesehen hatte. Sie
sah bieder aus und schlicht, und so war auch ihre Kleidung. Sie steckte in
einem Kleid aus einfachem Leinen mit einem verschossenen Blumenmuster. Am Hals
saß eine gewaltige Brosche, die sich ihrer unechten Steine zu schämen schien.
Die Frisur des strähnigen Haares war nicht die ordentlichste und wurde von
einem runden Topfhut gekrönt. Den Abschluß nach oben bildete eine starke
Hutnadel mit Kopf und Brust eines Pferdes aus dem gleichen Buntglas wie die
Brosche am Kleid. Ich konnte nur schwer meinen Blick davon losbringen. Aber
während ich alles das sah, kam ein leises Gefühl von Mitleid für die alte Frau
in mir hoch. Trotz aller Gesundheit sah sie hilfloser aus als alle, die mit ihr
auf dem Bild gewesen waren. Ich war sicher, daß sie es schwer gehabt hatte in
der Schule und noch immer schwer hatte in der bösen Welt von heute.
    Ich stand auf und streckte ihr die Hand
hin.
    «Frau Lindemann! Na fein, daß Sie mich
auch mal besuchen. Mechthild hat Sie schon angekündigt.»
    Sie war verwirrt und schüchtern, und
ihre Hand war feucht.
    «Ach— ja, Herr Doktor— »
    «Nehmen Sie Platz», sagte ich.
    Sie sah auf den Stuhl herunter und
setzte sich dann auf die Kante. Ich lehnte mich in meinen zurück. Mit der
linken Hand zog ich eine leere Karteikarte heraus.
    «Ich hab gehört, Sie waren mit Frau von
Scherff bekannt und— mit Frau Herwig. Tut mir leid. Traurig, wenn man alte
Freunde verliert. »

    Jetzt hatte sie etwas, worüber sie mit
mir reden konnte. Sie nickte heftig.
    «Ja, ja, Herr Doktor. Und so schnell
hintereinander, alle beide. Wissen Sie, wir waren zusammen auf einer Schule, in
derselben Klasse. Na, was ich— was meine Wenigkeit ist, ich bin nur zwei Jahre
dagewesen, dann— dann— ich bin nämlich sitzengeblieben, und dann bin ich— »
    Sie fuhr sich über die Augen und lachte
verschämt, und ich lachte mit. Endlich mal jemand, der sitzengeblieben war und
es in der ersten Minute zugab.
    «Dann waren Sie nur noch Ehrenmitglied
der Schule», sagte ich.
    «Ja, ich bin abgegangen— das Lyzeum war
nichts für mich, wissen Sie. Aber sie haben mich nicht vergessen und mir immer
geschrieben und mich eingeladen— wir haben uns nie aus den Augen verloren. Ja,
und dann starb die Alma, ganz plötzlich, wie lange ist es denn her, noch gar
nicht so lange, und dann ist die Jenny, die Frau Herwig— ja, und jetzt die
Bertha, die Tante von Ihrem Fräulein— »
    «Aber Ihnen fehlt nichts, wie ich
sehe», sagte ich.
    «Nein, Herr Doktor, unberufen, ich kann
nicht klagen, man ist immer gesund gewesen— mein Vater ist zweiundneunzig
geworden, denken Sie, alle in seiner Familie waren so alt!»
    «Das werden Sie bestimmt auch noch
schaffen», sagte ich lächelnd.
    «Ach, ich weiß nicht, Herr Doktor,
jetzt, wo das alles passiert ist, man bekommt doch ein bißchen Angst— nicht,
daß ich mich fürchte, aber ich war ewig nicht beim Arzt, und da wollte ich— »
    Sie rutschte auf der Kante herum und traute
sich nicht, ihren Wunsch auszusprechen.
    «Da wollten Sie sich mal gründlich
untersuchen lassen. Zur Beruhigung. »
    Sie sah mich mit dankbarer
Erleichterung an.
    «So ist es.»
    «Machen wir gerne, Frau Lindemann. Aber
erst will ich mir Ihre Personalien aufschreiben.»
    «Natürlich, Herr Doktor— ja, und das
Fräulein war auch so nett, sie hat gleich gesagt, ich könnte kommen, und da
habe ich gedacht, am Sonnabend ist es vielleicht nicht so voll— »
    «So voll ist es bei mir nie»,
antwortete ich.
    «Ach, das wird noch, Herr Doktor»,
sagte sie zutraulich. «Im Anfang ist es immer schwer, und dann auf einmal wird
es zuviel, und man ist froh, wenn man seine Ruhe hat.»
    Sie wurde mir immer sympathischer, die
alte Dorothea. Wer sagte heute noch, was er dachte.
    Ich malte ihren Namen mit
Druckbuchstaben auf die Karte.
    «Ihr Vorname, Frau Lindemann?»
    Sie beugte sich voller Eifer zu mir.
    «Dorothea. Anna Dorothea.»
    Ich schrieb den Namen hin, den ich
schon kannte, und den zweiten

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