Fünf alte Damen
Lassen Sie sie
rein.»
«Aber es sind noch— »
«Erzählen Sie denen irgendwas. Rein mit
ihr!»
Dorothea kam.
Sie war blasser als vor zehn Tagen. Als
sie heran war, sah ich feine Schweißtropfen auf ihrer Stirn.
«Was fehlt, Frau Lindemann?»
Sie setzte sich und holte tief Atem.
«Ich wollte gar nicht kommen, Herr
Doktor. Es ist— kaum der Rede wert. Ich bin spazieren gewesen, am Sonntag, und
da hat es doch so geregnet— da muß ich mich ein bißchen erkältet haben— seit
zwei Tagen habe ich Halsschmerzen— was zum Gurgeln hatte ich noch, das half
auch ganz gut— aber heute habe ich Fieber— »
«Gemessen oder gedacht?»
«Gemessen. Achtunddreißig zwei.»
Ich untersuchte sie gründlich. Der
Rachenring war gerötet. Sonst fand ich nichts. Die Lunge war völlig frei.
«Nichts Schlimmes, Frau Lindemann», sagte
ich und war mehr erleichtert als sie. «Eine leichte Mandelentzündung. Keine
eitrige. Aber wir wollen verhüten, daß es eine wird. Sie nehmen das ein, was
ich Ihnen aufschreibe. Morgen mittag muß es alle sein. Und jetzt gehen Sie nach
Hause, kriechen in Ihr Bett und bleiben drin.»
«Ins Bett? Aber ich muß doch— »
«Ins Bett. Sie müssen nichts. Die
Rentner haben immer das meiste zu tun. Wer Fieber hat, gehört ins Bett. Ob
sieben oder siebzig.»
Sie nickte leicht bekümmert. Ich
schrieb das Rezept.
«Gurgeln tun Sie weiter. Und morgen
komme ich und sehe mir Ihren Hals an— »
Als ich das Datum stempelte, merkte
ich, daß sie morgen Geburtstag hatte.
«Ach ja. Auch noch Geburtstag. Da hätte
ich Ihnen eigentlich ein besseres Geschenk machen müssen. Haben Sie Gäste geladen?»
«Nur die Agnes— Frau Lansome. Wir
wollten zusammen Kaffee trinken.»
«Na, da wird vielleicht noch was draus.
Aber erst komme ich und inspiziere, ob Sie im Bett sind. Was sein muß, muß
sein.»
Sie schien sich damit abgefunden zu
haben.
«Wenn Sie sich extra bemühen wollen,
Herr Doktor, aber ich muß doch aufmachen— wann würden Sie denn— ?»
«Wann kommt Frau Lansome?»
«Genau hat sie es nicht gesagt. Sicher
nicht vor vier.»
«Ich bin zwischen zwei und drei da.
Dann werden wir sehen, ob der Kaffeeklatsch stattfinden kann. Ich klingle
dreimal lang. Wie der Gerichtsvollzieher. Hier ist das Rezept. Hin zur
Apotheke, und dann nichts wie nach Hause.»
Sie stand schwerfällig auf.
«Na, dann will ich’s mal so machen,
Herr Doktor. Hoffentlich ist es bald weg. Neulich hab ich noch großgetan mit
der Gesundheit, und schon hab ich was.»
«Um so gesünder wird das neue
Lebensjahr», sagte ich und öffnete ihr die Tür. «Bis morgen also.»
Sie nickte mir noch einmal zu, mit
einem stillen, ergebenen Lächeln. Der Pferdekopf der Hutnadel machte die
Bewegung mit und funkelte bräunlich im Mittagslicht.
Vierundzwanzig Stunden später bewegten
wir uns im gewohnten Tempo durch den Rest unserer Kundschaft. Es war Mittwoch,
und mein Seemann beschloß den Reigen. Er machte es sich im Stuhl gemütlich und
rauchte. Es roch wie eine Filterzigarette, bei der einer den Filter anzündet
und zuerst genießt. Deswegen verzichtete ich, als er mir eine anbot.
«Die hat mein Sohn aus Cuba
mitgebracht», sagte er, während ich das Fenster öffnete. «War vier Monate auf
See, der Jung.»
«Meinen Glückwunsch», gab ich zur
Antwort. «Das wird die Marke sein, die die Rebellen im Busch geraucht haben.
Batistas Ende.»
Er beugte sich vor und zwinkerte.
«Rum hat er auch mit. Ein Zeug wie
flüssiges Gold. Fäßchen zu fünfundzwanzig Litern. Wollen Sie eins?»
«Wieviel?»
Der Rest der Beratung verging damit,
daß wir um den Preis des flüssigen Goldes feilschten. Von Beschwerden wurde
nicht gesprochen. Ich verabschiedete ihn, um einiges ärmer, aber mit der
Aussicht auf fünfundzwanzig Liter Rum von der sonnigen Insel Cuba.
Dann studierte ich meine Besuchsliste.
Dorothea Lindemanns Name stand an erster Stelle. Ihr Geburtstag fiel mir ein.
Während ich darüber nachdachte, ob Blumen oder Pralinen besser wären, kam
Mechthild mit einem Haufen von Mullbinden.
«Wissen Sie, daß heute die Frau Seegers
verbunden werden muß? Ich pack Ihnen alles ein.»
«Ach, Unglück», sagte ich. «Die habe
ich ja gar nicht auf der Liste. Hätte ich glatt vergessen.»
Ich schrieb den Namen ins Buch und
starrte ihn an.
«Na, das wird mich allein ‘ne Stunde
aufhalten. Binden wickeln war nie mein Fall.»
Mechthild warf den Mullhaufen auf das
Untersuchungsbett.
«Nehmen Sie mich mit. Ich verbinde sie.
Inzwischen
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