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Fünf alte Damen

Fünf alte Damen

Titel: Fünf alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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wanderten mit unserem Gepäck durch
die Einfahrt, weil kein anderer Zugang zu sehen war. Die Haustür ging zur
linken Seite ab. Als ich die öffnen wollte, sagte Mechthild: «Da ist eine Tafel
mit Namen!»
    Es war eine Holzplatte an der Wand
gegenüber. Saubere Linien grenzten die einzelnen Stockwerke ab, und die Schrift
war leserlich.
    «Da gibt’s noch ein Gartenhaus. Sehen Sie,
und da wohnt sie auch, Lindemann, Gartenhaus, zweiter Stock.»
    «Großartig», sagte ich. «Ich wollte
gerade den Blumentopf vier Treppen hoch schleppen und wieder herunter.»
    Wir gingen nach hinten durch. Es
öffnete sich ein stiller, sonnenheller Hof. Der Weg führte zu beiden Seiten um
ein Rasenrondell mit einem Wasserbecken aus Stein in der Mitte. Rechts und
links trennte eine halbhohe Mauer den Hof von zwei ebensolchen anderen. Eine
Teppichstange ragte verlassen neben ein paar Mülltonnen.
    Das Gartenhaus hatte nur die halbe Höhe
des vorderen Hauses. Um sein flaches Dach lief ein weitmaschiges
schmiedeeisernes Gitter mit einem Rankengewirr von wildem Wein. Ganz anders war
es hier hinten als draußen auf der Straße, ruhig und weit weg von allem
Betrieb. Wir sahen keinen Menschen. Ein paar Sperlinge flatterten auf, als wir
den Rasenfleck umrundeten, und setzten sich in einiger Entfernung wieder in die
Sonne.
    «Die hat es ganz nett hier», sagte ich.
«Ist doch ein niedlicher Bau. Und mit Dachgarten. Hier würde ich’s auch
aushalten als Rentner.»
    «Ich hab nur kein Lokal in der Nähe
gesehen», bemerkte Mechthild.
    «Schweig, Elende!» befahl ich.
    Die Haustür knarrte traulich. Neben dem
Treppenaufgang hing die Hausordnung, lang wie eine Novelle und mit unzähligen
Paragraphen. Eine breite Tür daneben war als der Eingang zu einem Möbellager
gekennzeichnet, aber ich vernahm kein Geräusch dahinter.
    Auch im ersten Stock ging nur eine
einzige Tür ab. Die Leute hatten es gut. Unser Kasten war voll wie ein
überbelegter Bienenstock.
    Dann standen wir vor der oberen Tür.
Ein schmales, gewölbtes Porzellanschild zeigte Dorotheas Namen in
rechtsgeneigter Schrift, wie aus einem Schulheft der dritten Klasse von unten.
    Wir hörten die Klingel deutlich.
Mechthild hatte die Besuchstasche auf den Boden gestellt. Ich spürte das
Seidenpapier meines Topfes unter dem Kinn. So warteten wir, und nichts geschah.
    Ich klingelte wieder.
    «Schläft wahrscheinlich», sagte
Mechthild leise.
    Ich sah sie an und hoffte, daß die
Furcht, die mich plötzlich befiel wie ein blutiger Schatten, nicht auf meinem
Gesicht zu lesen wäre.
    «Wahrscheinlich», antwortete ich.
    Dann fiel mir ein, daß ich ihr
angekündigt hatte, dreimal lang zu klingeln. Natürlich. Das war es. Es konnte
nur das sein. Sie wartete auf das Zeichen. Natürlich.
    Ich drückte dreimal hintereinander. Mit
jedem Schrillen schien mir die Klingel lauter zu werden, wie eine Sirene, die
immer näher kommt.
    «Sie hört nichts», sagte ich. «Ich frag
mal unten.»
    Ich lief die Treppe hinunter, ehe
Mechthild antworten konnte. Ich klingelte unten dreimal, als wäre ich noch vor
Dorotheas Tür. Nichts rührte sich, ein halbes Jahrhundert lang. Dann schlurften
unsäglich langsame Schritte näher. Die Tür rasselte in die Sperrkette. Ein
mürrisches Gesicht voller Mißtrauen erschien im Spalt.
    «Ja?»
    Es war eine zerknitterte alte Frau.
Ganz das Gegenteil von Dorothea. Lustlos und ohne Mut. Der zahnlose Unterkiefer
schob sich hin und her.
    «Entschuldigen Sie», sagte ich. «Ich
bin Arzt— oben— oben sollte ich zu Frau Lindemann kommen. Macht aber niemand
auf. Wissen Sie zufällig, ob sie weggegangen ist?»
    Sie bewegte den Kopf unwillig hin und
her, als hätte ich ihr ein Tonbandgerät angeboten.
    «Nein, ich weiß nicht. Hab sie nicht
gesehen. Weiß nicht.»
    Ich starrte sie an wie meine letzte Hoffnung.
    «Haben Sie sie vielleicht gehört oben?»
    «Nein, ich hör sie nicht. Vorhin hat
schon jemand gefragt. Eine Frau. Ich weiß nicht.»
    Die Tür schlug vor mir zu. Ich hörte
die Alte murmeln, als sie wegschlurfte.
    Gleich darauf war ich wieder oben. Mein
Atem ging schneller.
    «Weiß die was?»
    «Glaube nicht, daß die schon jemals was
gewußt hat», sagte ich. «Noch älter. Mit der kann sie nicht rechnen.»
    Einen Moment schwiegen wir beide.
Draußen zwitscherten die Sperlinge.
    «Vorhin soll schon jemand gefragt haben.
Eine Frau.»
    «Sicher eine, die gratulieren wollte.
Sie! Sie machen ja das ganze Seidenpapier kaputt! Die Blüten— »
    Ich setzte den Topf auf die Erde,

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