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Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe

Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe

Titel: Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Bryan
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brachte.
    Alice bückte sich, hob einen Apfel auf und schleuderte ihn so kraftvoll und so weit sie konnte durch das offene Fenster nach draußen. »Verdammte Lady Marchmont!«, rief sie. Sie hob einen weiteren Apfel auf und warf ihn dem ersten hinterher. »Verdammter Hugo de Balfort!« Die restlichen Äpfel flogen hinterher. »Zum Teufel mit seinen Freunden! Zum Teufel mit Nell Hawthorne und ihren Apfelkuchen! Zum Teufel mit allen Kuchen! Verdammt, verdammt, verdammt!«
    Kaum war der letzte Apfel nach draußen geflogen, brach Alice in Tränen aus. »Zum Teufel mit New Orleans, zum Teufel mit Richard, zum Teufel mit seiner neuen Frau, zum Teufel mit verdammt noch mal allem!«

4
    Österreich,
    November 1938
    Die sechzehnjährige Antoinette Joseph setzte sich auf der gepolsterten Fensterbank in ihrem Zimmer zurecht. Ihre langen Beine hatte sie unter dem Rock angewinkelt, zwei kleine Mädchen kuschelten sich an sie, eines rechts, eines links von ihr. Sie schlug ein abgegriffenes, aber wunderschön bebildertes Buch mit dem Titel »Kinder- und Hausmärchen« auf und begann, ihren jüngeren Schwestern vorzulesen. Das Buch hatte ihrer Mutter gehört, als sie klein war. Tanni, wie die Familie Antoinette nannte, legte einen Arm um die vierjährige Klara, den anderen um Klaras Zwillingsschwester Lili. Sie hatte den beiden die Geschichte von »Dornröschen« schon so oft vorgelesen, dass sie sie auswendig hätte hersagen können. Klara durfte die Seiten mit den Bildern umblättern.
    Die Herbstsonne strömte durchs Fenster und wärmte ihnen den Rücken. Als die Prinzessin »in einen tiefen, tiefen Schlaf« sank, nickte Lili mit dem Daumen im Mund ein. Tanni legte einen Finger an die Lippen und zwinkerte Klara verschwörerisch zu. Dann schob sie Lili so zurecht, dass der Kopf der Kleinen bequemer in ihrem Schoß lag. Klara schlang ihren Arm fester um Tannis Taille, auch ihre Augenlider senkten sich. Tagsüber machten sie immer wieder ein Nickerchen, denn nachts konnte keine der drei ruhig schlafen.
    Tanni lag oft wach, die Daunendecke bis zum Kinn hochgezogen, und lauschte auf die Schritte ihres Vaters, wenn er in seiner Bibliothek im unteren Stockwerk auf und ab ging, in der die Bücher wüst durcheinanderlagen. Wenn sie hörte, wie ihre Mutter im Schlafzimmer der Eltern am Ende des Flures schluchzte, zog sie sich ein Kissen über die Ohren. Sie nahm es jedoch immer wieder herunter, denn im Zimmer neben ihrem hatte Klara Albträume und Lili machte neuerdings oft ins Bett. Wenn sie sie weinen hörte, stand Tanni auf und weckte Klara oder wechselte Lilis Bettwäsche, bevor sie ihre Mutter störten. Dann nahm sie die Mädchen mit zu sich ins Bett, um sie zu beruhigen, versicherte ihnen, dass sie zu Hause bei Tanni in Sicherheit seien, und summte ihnen Wiegenlieder vor, bis sie wieder einschliefen. Dann lag sie wach und grübelte.
    Ihr Vater war in letzter Zeit sorgenvoll und in Gedanken vertieft. Er spielte nicht mit den Zwillingen, so wie er es früher mit Tanni getan hatte. Sie hatten keinen Spaß mehr zusammen. Tanni dachte wehmütig an die Besuche im Kino oder im Zoo, die Spaziergänge mit ihren Eltern auf der Promenade am Fluss entlang, wo bei gutem Wetter ein Orchester spielte. Nach dem Spaziergang gingen sie immer in die Konditorei, einen magischen Ort mit goldenen Spiegeln und Tischplatten aus Marmor, wo sich eine Vitrine an die andere reihte, gefüllt mit köstlichen Kuchen und Torten, und wo es Eiscreme mit Sahne in hohen Gläsern gab. Die Zwillinge waren noch nie dort gewesen. Die Konditorei war das erste Geschäft in der Stadt gewesen, in dessen Schaufenster ein Schild mit der Aufschrift »Juden nicht willkommen« hing. Mittlerweile hingen diese Schilder in allen Geschäften und Restaurants und auch am Kino und am Zooeingang. Judenrein.
    Lili und Klara verstanden nicht, was Jüdischsein mit Eiscreme und Spaziergängen im Park oder einem Zoobesuch zu tun hatte. »Aber warum können wir denn nicht hingehen?«, jammerten sie. Auch Tanni verstand nicht, weshalb sie ausgeschlossen wurden, doch die Feindseligkeit in der Stadt war fast mit Händen zu greifen. Diese Feindseligkeit hielt sie nicht nur von all den schönenOrten der Stadt fern, inzwischen kroch sie auch wie Giftschwaden unter der soliden Eingangstür hindurch ins Haus der Josephs, das einmal ein glückliches Zuhause gewesen war. Sie kroch durch jeden Fensterspalt und über die Gartenmauer.
    Die wohlhabenden Patienten ihres Vaters mieden seine Praxis und die

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