Fünf Kopeken
vorne anzufangen, den Tag am Ende vielleicht sogar von einem Reinfall in einen Erfolg zu verwandeln, beflügelt ihren Schritt. Schon sieht sie das spiegelnde Schaufenster, in dem sich die breitmäulig lächelnden Puppen rekeln.
Sie geht um den Laden herum, über die Steinplatten, zwischen denen sich kein Grashalm heraustraut, sieht die Nachbarin am Eingang, einen Fuß im Türspalt. Mit dem einen Arm zieht sie einen Holzroller nach draußen, mit dem andern greift sie nach dem »Pimpf«, der irgendwas in den Blumentöpfen meiner Großmutter zu suchen scheint. Die kleinen Hände sind tief in der Erde vergraben, während ihm das Rauscheengelhaar ins Gesicht hängt.
»Tag«, sagt meine Mutter.
Der Junge schaut auf, zieht die braunen Finger zwischen den Blättern hervor.
Die Nachbarin lugt unter dem halb geschlossenen Lidervorhang hervor. »Los jetze, wenn de hier noch lange rumdallerst, falln uns de Sterne uffn Kopp!«, ruft sie und zieht den Roller ganz nach draußen. Die Wimpel, die um den Lenker gewickelt sind, schleifen über den Boden, während sie wieder nach dem Jungen grapscht. Aber der huscht unter ihrer Hand hinweg, stolpert über die Räder. Und fällt geradewegs meiner Mutter in die Arme.
Die Nachbarin zieht den Pimpf am Kragen zurück. »Wat isn heute los mit dir? Biste mit de Neese in Kacke jefalln, oda wat?«, ruft sie und schüttelt ihn so durch, dass sofort wieder das altbekannte Geschrei einsetzt.
»Äh, ich geh dann mal«, murmelt meine Mutter und schiebt sich ins Innere, läuft die Treppe hinauf, während sie nun auch den Nachbarsmann hört, der sich offenbar vom Balkon aus an der Schreierei beteiligt.
Sie steigt in den zweiten Stock und klingelt.
»Hallo«, kommt die Stimme meiner Großmutter ängstlich hinter der Tür hervor.
»Mama, ich bin’s!«
»Bist du’s?«
»Ja, ich bin’s.«
»Was machst du denn hier?«
»Maaama, kannst du mir vielleicht erstmal aufmachen?«
»Ja, äh, Moment.« Die Eisenkette rutscht aus dem Scharnier, die Schlösser, zu diesem Zeitpunkt erst zwei, klacken auf, dann öffnet sich die Tür und gibt den Blick auf das marineblaue Zelt frei, in dem meine Großmutter steckt.
»Wieso bist du denn nicht in der Bibliothek?«, ruft sie und drückt meine Mutter an sich, als habe sie sie seit Jahren nicht mehr gesehen.
»Da komm ich grad her.«
»Jetzt schon? Du musst doch lernen!«
Meine Mutter stößt ein bitteres Lachen aus. »Wie denn bitte, wenn hier ein Stall voll Arbeit auf mich wartet? Die Bewerbungen lesen sich doch nicht von selbst!« Sie zieht den Mantel aus, hängt ihn an den Kleiderständer.
Meine Großmutter schüttelt den Kopf. »Was denn für Bewerbungen?«
»Für die neue Verkäuferin. Ich hab dem Papa versprochen, dass ich jemanden raussuche, eigentlich erst morgen … «, aber meine Großmutter schneidet ihr das Wort ab.
»Wie siehst du denn aus?«, ruft sie und reißt den Pullover meiner Mutter nach oben.
Meine Mutter blickt an sich herab, sieht erst jetzt die braunen Flecken, die sich bis auf den Rock ziehen.
»Was hast du denn angestellt?«, ruft meine Großmutter, sie klappert ins Bad, kommt mit einem tropfenden Waschlappen zurück.
»Ich?«, ruft meine Mutter, »das war der Sohn von den Nachbarn.« Sie zupft die Erdbröckchen, die sich in der Wolle verfangen haben, vom Pullover. »Ist förmlich auf mich draufgefallen, nachdem er davor zwischen den Blumen rumgebuddelt hat.«
»An meinen Blumen war der?«, ruft meine Großmutter, »ich glaub dem geht’s zu gut!« Sie lässt sich vor meiner Mutter auf die Knie fallen, zieht den Pullover zwischen den Händen straff und beginnt daran herumzurubbeln. Aus den kleinen, braunen Flecken werden große, schwarze Seen. »Es wird wirklich immer schlimmer mit dem Jungen!«, stöhnt sie, »der macht, was er will und die Eltern lassen ihn gewähren!« Der Waschlappen fährt auf die Oberschenkel, wieder zurück zum Pullover, bis die Vorderseite komplett durchnässt ist. »So kannst du nicht rumlaufen!«, sagt sie endlich und rappelt sich schnaufend auf.
Sie scheucht meine Mutter vor sich her ins Schlafzimmer, geht zum Kleiderschrank. »Zieh dich aus!«
Meine Mutter winkt ab. »Das geht schon.«
»Nein, nein«, ruft meine Großmutter, »so gehst du mir nicht aus dem Haus!« Sie wedelt mit den Fingern, bleibt ungeduldig an der Schranktür stehen, bis meine Mutter widerwillig den Rock nach unten schiebt. Die Brille aufs Bett legt. Den Pullover hochzieht. Ihre Ellenbogen drücken gegen die Maschen,
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