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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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wartenden Gästen zischelnd, »Wenn die nicht bald kommt, kann ich das Hühnchen auch gleich wegschmeißen«, denn wie immer war die Gundl natürlich zu spät. Angeblich soll sie einmal sogar von der Küche ins Esszimmer eine halbe Stunde gebraucht haben, weil ihr unterwegs immer wieder etwas eingefallen war, was sie vergessen hatte, sodass sie sich hilflos hin und her drehte, wie jene Häschen in der Duracell-Werbung, die kein Duracell haben. Mein Großvater spielte das gerne nach. Meiner Mutter kam dabei die Aufgabe zu, die Hände an die Wangen zu schlagen und mit kreischender Stimme »Dud ma werklisch läd« zu rufen, wie die Gundl das immer und immer schon mit zehn Metern Abstand tat, so auch an diesem Tag, als sie endlich mit Helm und Max im Schlepptau die Einfahrt hinaufgehetzt kam und, wie meiner Großmutter nicht entging, ganz leicht die Nase Richtung Küche rümpfte.
    »Nicht doch! Wir sind ja auch gerade eben erst angekommen. Ich hatte ohnehin noch ein paar letzte Handgriffe zu erledigen«, rief meine Großmutter.
    »Mein Gott, werklisch wie ausm Gsicht gschnidde«, sagte die Gundl, während sie ihren Mantel aufhängte, und »mir sinn noch emol schnell häm un ham en Tordehäwa gholt, wann ihr kenner hen«, wobei sie meiner Großmutter eine unter Plastikfolie zitternde Schwarzwälderkirsch entgegenschob, die diese, tödlich beleidigt, dass man ihr einen fremden Kuchen ins Haus brachte, »Danke Liebes!« flötend entgegennahm, am Abend in die Tiefkühltruhe stopfte und dort für immer vergaß.
    »Na du, wie läuft’s in der Bank. Noch nicht festgewachsen hinterm Schalter«, rief mein Großvater und klopfte seinem Bruder auf die Schulter.
    »Nix da Schalter. Ich bin jetzt bei den Anlagen. Da musste zum Arbeiten nicht mal aufstehen und kriegst zur Belohnung ne Gehaltserhöhung«, sagte der Helm und rannte hinter meinem Großvater durchs Haus, um zu schätzen, wie viel die neue Saftpresse und der neue Fernseher und die neue Spiegelreflex gekostet hatten.
    »Neu! Dass ich nicht lache«, rief Helm und tat es trotzdem. »Die hat ja noch nicht mal einen Zoom, meine macht das alles schon automatisch!«
    Die Frauen wetteiferten auch, aber mit umgekehrten Vorzeichen.
    »Wie geht es denn deinem Vater?«, fragte meine Großmutter
    »Wie sollsn dem schun gehe?«, rief die Gundl. »Furchtbar. Des Bett hot er ma vollgepinkelt. Isch hab die ganz Nacht ned geschlofe.«
    »Du Ärmste«, erwiderte meine Großmutter, die in Gundls Gegenwart wieder ostentativ hochdeutsch sprach. »Glaub mir, wenn er eines Tages mal nicht mehr ist, wirst du dir wünschen, jemand würde dich wach halten«, Hand auf Brust, leises Seufzen, »ich weiß, wovon ich spreche.«
    Es wurde gegessen und getrunken, man wünschte, auf Drängen meines Großvaters: versicherte meiner Mutter eine goldene Zukunft. Sie wurde den Tisch herum gereicht und bekam den Kopf gerieben, als rechne man damit, dass ihr früher oder später ein Goldstück aus dem Mund fallen würde, während meine Großeltern hinter der Kamera herumturnten.
    »Bitte lächeln«, rief mein Großvater.
    »Nicht so doll!«, meine Großmutter. Aber die Zähne waren schon drauf auf dem Foto. Meine Mutter sieht darauf sogar noch kleiner aus als auf dem aus Toulouse, dabei ist sie schon einige Jahre älter. Vielleicht liegt es an der Art, wie sie dasteht, die Beine überkreuzt, die Arme hinterm Rücken, sodass sie richtiggehend in den Boden einzusinken scheint. Aber wenn man genau hinschaut, kann man doch schon die winzigen Höcker erkennen, die sich wie Saugnäpfe unter dem kirschroten Nicki-Pullover abzeichnen, die ersten, zaghaften Wehen der Pubertät.
    »Eins hab ich noch«, rief mein Großvater.
    »Moment!«, meine Großmutter und gab ihm ein schrecklich auffällig unauffälliges Zeichen, woraufhin er ins Arbeitszimmer lief und mit einem riesigen Strauß zurückkam. »Danke für dieses wunderschöne Essen«, sagte er und überreichte ihr die Blumen, die sie am Vortag selbst gekauft hatte.
    »Ach, was für eine Überraschung! Das wäre doch nicht nötig gewesen«, rief sie.
    Auf dem Foto, das schließlich der Helm  – »Was? Die hat nicht mal Selbstauslöser!«  – schoss, sehen sie wieder richtig verliebt aus. Eben auch echte Profis.
    Mein Großvater hatte noch immer nicht genug und schleppte die »Skulptur« an, die meine Mutter zwischen zwei Preisverleihungen mal eben schnell getöpfert hatte.
    »Gibt es eigentlich was, was das Kind nicht kann?«, rief die Ilse und klatschte in die

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