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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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»Ein bisschen mitgenommen das Ding, findest du nicht?«
    Meine Mutter öffnete den Mund, kippte von einer Seite zur anderen. »Wir hatten einen kleinen Unfall«, flüsterte sie endlich.
    »Oh mein Gott!«, schrie meine Großmutter. Aber jetzt so richtig, als wolle sie alles aufholen, was sie seit der Ankunft meiner Mutter versäumt hatte. »Ohmeingottohmeingottohmeingottohmeingott!« Sie drehte meine Mutter zu sich, ließ sich auf die Knie fallen und hob die Ärmchen nach oben, fummelte in den Achselhöhlen herum, tastete die Beine ab, während sie »bist du verletzt?«, »tut dir was weh?«, »hast du dir was getan?« rief. Meine Mutter sackte kraftlos nach vorne.
    »Alles noch dran?«, fragte mein Großvater, als meine Großmutter endlich unter ihrem Rock hervorkam.
    Meine Mutter nickte.
    »Gut, dann wäre das ja geklärt«, sagte er, und »also gut«, und als das noch immer nichts half, »Hilde, das ist verdammt noch mal keine Sanierung, du siehst doch, dass sie in Ordnung ist«, woraufhin meine Großmutter endgültig in Tränen ausbrach und »sieht das für dich etwa in Ordnung aus?« schluchzend meine Mutter, Kopf voran, zum Tisch zog, damit mein Großvater die Beule bewundern konnte, die unter dem fädeligen Haar hervortrat. »Da!«, heulte sie.
    »Ich seh nichts«, sagte mein Großvater.
    »Daaa!«, jammerte meine Großmutter und strich mit dem Finger darüber.
    »Nix da«, sagte mein Großvater und schaute in die entgegengesetzte Richtung, parkte seinen Blick auf der Straße, bis meine Großmutter sich endlich ergeben auf die Ballen sinken ließ und die Lippen zu einem schmalen Strich zusammendrückte.
    Meine Mutter starrte auf den Perserteppich, betrachtete die Krieger, die auf ihren Pferden dahingaloppierten. Ihre Augen fuhren das Muster entlang, folgten den Hügeln, die die Krieger hinauf oder hinab ritten, je nachdem, von wo man schaute, bis an die Stelle, wo sie der Schreibtisch verdeckte. Nur in der Mitte konnte man die sehen, die oben am Hang standen, und die Schuhe meines Großvaters, einen Socken oben drauf, den anderen noch am Fuß.
    »Nun gut«, hörte sie ihn endlich sagen. »Wir hatten eine Vereinbarung und du hast sie gebrochen.« Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Aber wie ich meine Tochter kenne, hatte sie triftige Gründe für ihr Handeln.« Das Grübchen in seinem Kinn zog sich zusammen. »Also bitte.«
    Meine Mutter holte tief Luft, kratzte an ihrer Strumpfhose. Und dann fing sie an zu erzählen, von dem furchtbaren Lärm und den furchtbaren Leuten, von dem weinenden Mädchen und dem Jungen, die sich in der Toilette eingeschlossen hatten, wobei das Schnaufen in ihrem Rücken in ein Rasseln umschlug. Sie erzählte von dem Bier und den Scherben, von der Michaela, die sich so im Kreis drehte, dass ihr schwindelig wurde. Ihr Magen machte Geräusche. Die Pferde sprangen durcheinander. Sie erzählte von der Hand in ihrem Unterhemd und dem Stuhl, der auf den Boden fiel leicht war er auch darüber gestolpert so genau konnte sie sich nicht mehr erinnern konnte sie sich aber an die bösen Blicke, die ihr folgten und sie nach draußen war es so kalt war es, dass ihr die Beine zitterten, sie musste sich an der Tischkante festhalten, um nicht umzufallen, während sie weitersprach, von der vereisten Scheibe im Auto, das sich drehte, und von der Michaela, die sich auch drehte, alles drehte sich vor ihr war so schwindelig reicht jetzt, rief er, es reicht. Der Tisch driftete zur Seite, sodass ihr das Lenkrad entglitt, die Tanne knallte gegen die Scheibe und dann die Hand meines Großvaters auf den Tisch. »Es reicht, verdammt noch mal! Was redest du denn für einen Unsinn?« Die Füße unter dem Tisch suchten den Boden ab. »Ist das etwa alles, was du zu deiner Verteidigung vorzubringen hast?« Der Ehering kratzte über die Tischplatte. Meine Mutter drückte die Hand auf den Mund.
    »Nun?«
    »Ich hab’s einfach nicht mehr ausgehalten«, nuschelte sie durch die Finger.
    »Ich glaub’s nicht!«, schrie mein Großvater und haute sich, halb aus Wut, halb aus Mangel an Alternativen, auf den eigenen Oberschenkel. »Duckmäuser! Das sind die Worte eines Duckmäusers!« Er sprang auf, knallte mit dem Bauch gegen die Tischplatte. Meine Mutter sah, wie der Füller, von dem Schlag angestoßen, ins Rollen kam und auf die Kante zusauste. Sie überlegte, ihn aufzufangen. Aber kurz vor dem Abgrund hielt er plötzlich an und rollte rückwärts.
    »Soll mich der Teufel holen, wenn ich ein Kind großgezogen habe,

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