Fünf: Schwarzwald Thriller 1
musste Katrin überlegen, welche Frage Rainert gestellt hatte. Dann fiel es ihr ein.
Ihr wurde schlecht. Nein, dachte sie panisch. Bitte nicht.
Am liebsten wäre sie wie ein kleines Kind aus dem Zimmer gerannt, hätte sich die Ohren zugehalten, die Augen geschlossen und den Albtraum, dem sie gegenübersaß, hinter sich gelassen. In diesem Moment vermisste sie ihre Kindheit, das Gefühl von Geborgenheit.
»Ich kann nicht klagen«, murmelte sie widerwillig.
»Das reicht mir nicht. Erzähl mir von ihm, als wäre ich deine beste Freundin oder«, er feixte wieder, »vielleicht dein schwuler Freund.«
»Nein«, sagte sie bittend.
»Wärter«, Rainert drehte sich um. »Ich bin hier fertig.«
»Sie bleiben!« Katrin holte tief Luft. Sie hatte das Gefühl, jedes Wort einzeln aus ihrem Herzen schneiden zu müssen.
»Die Wahrheit«, betonte Rainert. »Ich merke es, wenn du mich anlügst.«
Katrin nickte.
»Wenn ich es merke, ist Melissa tot.«
Katrin nickte noch einmal.
»Er ist ein wunderbarer Liebhaber«, sagte sie leise. »Sanft und rücksichtsvoll, aber trotzdem voller Kraft.« Sie sah, wie Rainert sich in die Hose griff. Eine Träne stahl sich aus ihren Augen und fiel auf die kalte Tischplatte vor ihr.
Wie sollte sie in Zukunft mit Darren schlafen können, ohne dabei an Rainert denken zu müssen, der mit weit geöffneten Augen reglos dasaß und ihr zuhörte. Nur sein rechter Arm bewegte sich rhythmisch.
*
Josef Horn wartete ungeduldig. Dass er heute seine Tochter vom Kindergarten abholen musste, weil Johanna einen Kontrolltermin beim Arzt hatte und seine Mutter mit Grippe im Bett lag, war an sich schon schlimm genug gewesen, aber dass er jetzt auch noch mit einer infantil grinsenden Kindergärtnerin über Uli plaudern musste, war schlichtweg zu viel des Guten.
»Also, die ganze Situation ist mir ziemlich unangenehm, Herr Horn«, sagte Frau Mehnert und wickelte einen ihrer Zöpfe um ihren Zeigefinger. »Ich sage es einfach geradeheraus, denn schonendere Worte gibt es für so einen Vorfall sowieso nicht. Ihre Tochter Ulrike hat sich heute geprügelt.« Sie hob die Hand, um seinen Einwand zu unterbrechen. »Und zwar nicht nur einmal. Sie hat heute drei Kinder verprügelt.«
»Aber warum denn? Haben Sie sie gefragt, warum sie das gemacht hat?« Innerlich schwoll seine Brust über den Mut seiner Kleinen, äußerlich machte er sich demütig klein.
»Natürlich haben wir das. Ich bin selbst mit Uli in die Herzensecke gegangen.« Sie musste sein verständnisloses Gesicht bemerkt haben, denn augenblicklich erklärte sie ihm den Sinn der Herzensecke. »Weniger pädagogisch und mehr christlich ausgedrückt würde man die Herzensecke als Beichtstuhl bezeichnen«, meinte sie. »Alles, was die Kinder uns in der Herzensecke erzählen, bleibt ein Geheimnis.«
»Wirklich?«, fragte Horn und zog provozierend eine Augenbraue hoch.
»Ja, wirklich. Natürlich nur, solange es sich nicht um wirklich schlimme Sachen handelt. Aber keine Sorge: Ich habe Uli bereits gesagt, dass ich zumindest mit Ihnen über den Vorfall würde sprechen müssen.«
»Und was hat Uli Ihnen jetzt als Grund für ihr Verhalten angegeben?«
»Es ist ja nicht so, dass ich Uli nicht verstehen würde. Aber sie muss auch verstehen, dass für die anderen Kinder die Situation auch nicht gerade einfach ist.«
Langsam wurde Josef ungeduldig. »Frau Mehnert. Kommen Sie bitte zur Sache. Wie Sie wissen, bin ich derzeit sowohl beruflich als auch privat ziemlich eingespannt und muss mir meine Zeit sehr genau einteilen. Also: Welche Situation ist schwierig und warum verprügelt meine Tochter andere Kinder?« Es hatte ihn beinahe übermenschliche Kraft gekostet, einen ruhigen, vernünftigen Ton anzuschlagen.
Frau Mehnert machte ein Gesicht, als hätte er ihr mit seiner Eile das Highlight ihres Tages zerstört, und ihr eifriges Gesicht verwandelte sich in eine abweisende Maske. »Es ging um Melissa«, sagte sie knapp, fast schnippisch. »Ein paar Kinder haben Uli wohl vorgeworfen, dass sie und ihr älterer Bruder nicht auf Melissa aufgepasst hätten.«
Josef schlug mit der Faust auf den Tisch, dass die zarte Blumenvase zitterte. »Das ist ja wohl der Gipfel«, brüllte er und sein Gesicht brannte heiß. Er wusste, dass er puterrot angelaufen sein musste.
»Aber Herr Horn, das ist noch lange kein Grund …«
Weiter ließ er Frau Mehnert nicht kommen. »Für mich, Frau Mehnert, ist das Grund genug, meiner Tochter gleich nachher ein großes Eis zu
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