Fünf: Schwarzwald Thriller 1
aber beschäftigte ihn die Frage, wie er das seinen Kindern beibringen sollte.
Sollte er sie überhaupt schon Tage – oder mit viel Glück vielleicht auch Wochen – vor dem Verlust der Mutter darauf vorbereiten, oder sollte er sie schlicht vor vollendete Tatsachen stellen, wenn es so weit war?
Was konnte man einer Fünf- und einem Achtjährigen zumuten? Wie viel Wahrheit vertrug eine Kinderseele? Oder wie viel Lüge? Sollte die Welt für Kinder nicht eine sichere sein, in der sie sich darauf verlassen konnten, dass Vater und Mutter ihnen zu jeder Zeit hilfreich zur Seite stehen würden?
Johannas Zustand würde sich nicht verheimlichen lassen. Der Arzt hatte ihm wenig Hoffnung gemacht, dass Johanna noch mal aus ihrem Dämmerzustand erwachen würde. Aber war nicht das ganze Leben das Hoffen auf ein Wunder? Durfte er es sich auch erlauben, auf so ein Wunder zu hoffen? Er dachte an die Wagners. Auch sie beteten jetzt um ein Wunder.
In Josefs Magen kribbelte es. Johanna konnte er nicht mehr helfen, aber für Melissa war es noch nicht zu spät.
Er beugte sich über Johanna und küsste sie. Ihr Leben lag in den Händen der Ärzte, vielleicht auch in Gottes Hand. Aber Melissas Schicksal lag in seiner.
Noch. Er würde sich diese Chance nicht nehmen lassen. Zwei Stufen auf einmal nehmend sprang er die Treppen hinunter.
Es dämmerte. Die frische Morgenluft tat ihm gut, und als er in sein Auto stieg, um zu Darren Grass zu fahren, spürte er, dass er das Richtige tat.
*
Katrin erwachte mit einem Ruck. Sie hatte schlecht geträumt. In ihrem Traum hatten die Rätsel sie in eine dunkle, enge Gasse geführt. Sie konnte weder deren Eingang noch deren Ausgang erkennen. Angst kroch durch ihre Eingeweide und breitete sich immer weiter aus, bis ihr ganzer Körper von Panik erfasst wurde. Sie hörte Schritte hinter sich und begann zu laufen. Sie rannte, so schnell sie konnte, doch die Schritte des anderen waren schneller und holten sie schließlich ein.
Eine Hand griff nach ihrer Schulter, und als sie sich umdrehte und das wabernde Nichts erblickte, begann sie zu schreien. Das Gesicht ihres Verfolgers hatte weder Augen noch Nase noch Mund, es besaß keine Konturen und verschwamm immer wieder zu einer fließenden, weichen Masse. Plötzlich öffnete sich in dem Gesicht ein klaffendes, schwarzes Loch, und in diesem Moment hörte sie eine kalte Stimme:
»Du glaubst doch nicht im Ernst, du hättest nur den Weg in diese Gasse finden müssen?«, höhnte die Stimme. »Öffne deine Augen, Katrin, und erkenne das Rätsel hinter dem Rätsel, sonst wirst du sie nie finden, Katrin. Niemals!«
Die Stimme verhallte im nebulösen Nichts.
Katrin drehte sich um und rannte wieder. Sie klopfte an Türen, auf denen goldene Fragezeichen prangten, aber niemand öffnete. Sie schrie, aber niemand schien sie zu hören. Dann, ganz plötzlich, waren die Schritte ihres Verfolgers verschwunden. Um sie herum herrschte nur noch schwarze Stille. Totenstille. Dann tauchte unvermittelt an einem Fenster eine weitere Gestalt auf.
Etwas Beruhigendes ging von dieser Gestalt aus und eine innere Stimme sagte ihr, dass sie jetzt am Ziel war, dass sie die Lösung gefunden hatte, dass Melissa in Sicherheit war.
»Katrin.« Der Klang ihres Namens schwebte von einem unsichtbaren Hauch getragen zu ihr heran und kopflos stürzte sie auf die einladend winkende Gestalt im Fenster zu. In weichen, schützenden Armen liegend, langsam wieder zu Atem kommend, hörte sie sich selbst »Gott sei Dank, jetzt ist Melissa gerettet«, sagen, bevor der kalte Stahl einer verborgenen Klinge sie vollkommen unvorbereitet traf.
Mit vor Überraschung weit aufgerissenen Augen sackte sie zusammen und war tot, bevor sie auf dem Boden aufschlug.
Verwirrt blickte sich Katrin in dem für sie immer noch fremden Schlafzimmer um. Darren lag neben ihr und schlief tief. Sein leises Schnarchen hatte etwas beruhigend Normales und unter anderen Umständen hätte Katrin sich an dieser Stelle mit einem glücklichen Lächeln wieder hingelegt, aber ihr Verstand war bereits hellwach. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Sie setzte sich auf und lehnte sich gegen das gepolsterte Kopfteil des Bettes.
Irgendetwas in ihrem Traum hatte eine Saite in ihr zum Klingen gebracht, aber sie konnte sich nicht daran erinnern, was es gewesen war.
Sie hatte im Traum wieder Rätsel gelöst. Eigentlich hatten die Rätsel mehr einer Schnitzeljagd geglichen.
Katrin war hochkonzentriert. Sie schloss die Augen. Was
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