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Fünf Tanten und ein Halleluja

Fünf Tanten und ein Halleluja

Titel: Fünf Tanten und ein Halleluja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Steiner
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voller Zuversicht. Die Welt lag ihr zu Füßen.
    Die Tür öffnete sich. Ein alter Mann erschien auf der Schwelle. Etwas gebeugt, mit weißem Haar und buschigen Augenbrauen. Er war es. Hinter den Falten und der grauen Haut konnte sie es genau erkennen: seine Grübchen, die vorwitzigen grünen Augen, den spöttischen Mund. Tatsächlich, da war er, der Lausejunge, der Revoluzzer, der Romantiker, der Weltenveränderer, der Kiffer, der Draufgänger – ihre große Liebe.
    Claire war wie erschlagen. Sie konnte nichts sagen.
    Rainers Augen wurden groß. »Claire?«
    Er hatte sie erkannt. Jetzt kämpfte sie mit den Tränen. Du liebe Güte, wie lächerlich das war. Sie konnte doch jetzt nicht weinen.
    Â»Claire? Bist du das?«
    Sie nickte. Lächelte. Blinzelte eine Träne weg.
    Â»Hallo, Rainer.«
    Â»Claire, mein Gott! Wie …? Was …?« Ein ersticktes Lachen. »Ich werd verrückt. Was machst du hier? Wie bist du …? Ich …« Wieder dieses Lachen. Er strich sich durchs Gesicht. »Mein Gott, jetzt komm doch erst mal rein.« Er trat zur Seite. »Komm rein.«
    Und so kehrte Claire Müller nach beinahe vierzig Jahren zurück in das Leben von Rainer Bördemann.
    Â»Was machst du in Berlin?«, fragte er. »Wie bist du hierhergekommen?«
    Â»Ich besuche Toni, meinen Neffen. Ich bin mit meinen Schwestern hier. Ich … ach herrje, ich hätte mich anmelden sollen.«
    Â»Ach was, das spielt keine Rolle.« Er sah sie an wie eine Erscheinung. »Mein Gott, ich kann es immer noch nicht glauben. Claire. Du hier bei mir.«
    Â»Ich wusste gar nicht, ob du mich überhaupt sehen willst.«
    Â»Ich dich nicht sehen wollen? Claire …« Es sah aus, als wollte er sie in den Arm nehmen. Doch er tat es nicht. Sie spürte, dass es ihm nicht anders ging als ihr. Er war aufgeregt und völlig durcheinander.
    Â»Ich freu mich, Claire. Wirklich. Ich freu mich sehr, dass du hier bist.«
    Er stand unschlüssig herum, dann sagte er: »Komm doch mit auf die Terrasse. Möchtest du ein Glas Wein?«
    Er führte sie durchs Wohnzimmer. Claire blickte sich um. Alles war so gemütlich. Helle Möbel, ein riesiges Sofa mit zahllosen Kissen, überall Pflanzen. Es wirkte behaglich und einladend. Ein richtiges Zuhause. Dann ging es weiter auf die Terrasse. Rundherum war ein Blütenmeer. Dunkle Holzmöbel, der Boden aus Terrakotta und dahinter im Zwielicht der Garten mit den Obstbäumen.
    Sie spürte einen Stich. Es hätte ihr Zuhause sein können. Der Verlust wurde übermächtig. Die vielen Jahre ohne Rainer. Das Gute in ihrem Leben, ihr Mann, ihre Kinder, alles war jetzt weit entfernt. Sie spürte nur noch den Verlust.
    Â»Rainer, ich …« Sie musste weg von hier. Sie konnte es nicht mehr ertragen. »Gehen wir ein bisschen?«
    Â»Ein Spaziergang? Gerne. Sollen wir in die Stadt fahren? Wie viel Zeit hast du überhaupt?«
    Â»Wir fahren morgen zurück. Heute Abend habe ich nichts mehr vor.«
    Er lächelte. Das Erwähnen ihrer Rückfahrt schien ihn traurig zu machen. Er versuchte sich nichts anmerken zu lassen, löschte die Windlichter und holte die Autoschlüssel.
    Â»Also gut. Komm mit. Ich zeig dir die Stadt.«
    Während der Fahrt waren sie noch zu aufgewühlt, um über sich und ihre Gefühle zu sprechen. Claire erzählte von Toni. Die ganze Geschichte. Das war unverfänglich und neutral, und so gewöhnten sie sich wieder daran, miteinander zu reden.
    Â»Er ist bestimmt ein großartiger Junge«, sagte Rainer.
    Â»Ja, schon.«
    Â»Ihr werdet wieder zueinanderfinden, da bin ich ganz sicher.«
    Dann schwieg er eine Weile.
    Â»Wieso bist du damals in Papenburg geblieben?«, fragte er schließlich. »Darf ich dich das fragen? Ich hätte … alles für dich gegeben.«
    Eine Schrecksekunde lang herrschte Stille im Wagen.
    Â»Ich dachte, du wolltest mich nicht. Du hast mich doch nie gefragt, ob ich mitkommen wollte.«
    Â»Aber … ich wollte dich nicht drängen. Ich wollte dich nicht erpressen. Du solltest die Wahl haben. Dich frei entscheiden.«
    Â»Aber warum hast du denn nie was gesagt? Irgendwas? Nur, dass du mich gewollt hättest. Das wäre doch keine Erpressung gewesen.«
    Â»Ich dachte, es wäre klar gewesen, dass ich dich haben wollte … Ja, was denn sonst?«
    Die Erkenntnis lastete schwer zwischen ihnen.

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