Fünf
die Ehefrau tätowiert Nora die Koordinaten ein, danach bringt sie ihren Mann um, sägt ihn in Stücke, versteckt eine seiner Hände im Wald. Stürzt Nora vom Felsen.»
Noch bevor sie ihren letzten Satz zu Ende gesprochen hatte, schüttelte Beatrice bereits den Kopf. «Frauen agieren nicht so. Eine zerstückelte Leiche spricht für einen männlichen Täter.»
«Es gibt Ausnahmen.»
«Stimmt. Dürfen wir nicht außer Acht lassen. Trotzdem.» Beatrice griff nach ihrem Notizblock. «Die Agentur. Wir befragen jeden Einzelnen, der an dem Abend dabei war. Wir liegen der Gerichtsmedizin in den Ohren, damit sie uns die Informationen zu der abgeschnittenen Hand so rasch wie möglich vorlegt. Und wir folgen den Rätseln des Owners.» Sie sah Florin an, hoffte auf Zustimmung, aber sein Blick ging an ihr vorbei ins Leere.
«Diese fünf Tage», sagte er. «So viel Zeit zwischen Verschwinden und Tod. Wenn wir wüssten, was in dieser Zeitspanne passiert ist –»
Ohne Florin aus den Augen zu lassen, pinnte Beatrice das ausgedruckte, vergrößerte Foto des Briefs an das Board oberhalb des Schreibtischs. «Du hast recht», sagte sie. «In fünf Tagen kann sich ein Mensch völlig verändern, wenn man ihm ausreichend zusetzt. Das müssen wir bei allem berücksichtigen, was wir über Nora Papenberg erfahren.»
Der Gedanke begleitete sie die nächsten Stunden lang. Fünf Tage. Sie vervollständigte die Liste von singenden Christophs und stöberte ehemalige Chorleiter auf, aber die fünf Tage kreisten unablässig in ihrem Bewusstsein.
«Guten Tag, hier ist Beatrice Kaspary, Landeskriminalamt Salzburg. Spreche ich mit Gustav Richter?»
«Äh. Ja. Was … ist denn …»
«Keine Sorge, es ist nichts passiert, ich bräuchte nur eine Auskunft. Sie leiten den Kammerchor Arcadia, wenn ich richtig informiert bin?»
Erleichtertes Aufatmen. «Ja.»
«Ich habe zwei etwas ungewöhnliche Fragen. Haben Sie ein Mitglied namens Christoph? Oder ein Exmitglied? Der entscheidende Zeitraum wären die letzten fünf bis sechs Jahre.»
«Wieso wollen Sie das wissen?»
«Es hat etwas mit laufenden Ermittlungen zu tun, mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen.»
«Aha. Ja, bei uns gibt es einen Christoph. Es sind sogar zwei, Christoph Harrer und Christoph Leonhart, beide singen noch aktiv.» Kurze Pause. «Sind sie verdächtig oder so?»
«Nein, absolut nicht. Hat Ihr Chor vor ungefähr sechs Jahren die Schubert-Messe in As-Dur einstudiert?»
Diesmal kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen. «Ja, das könnte hinkommen. Lassen Sie mich schnell nachrechnen – ja. Ist fast sechs Jahre her.»
Beatrice umkringelte die beiden Namen mit Leuchtmarker.
«Damit haben Sie mir sehr geholfen.» Ihre Hand mit dem Leuchtstift schwebte weiterhin über dem Notizblock; eine letzte Frage brannte ihr noch auf der Zunge.
Sie holte Luft.
«War es das, Frau Kommissarin?»
«Ja. Nein, warten Sie – eine Sache noch, die Ihnen vielleicht merkwürdig vorkommen wird, aber trotzdem: Hat einer der betreffenden Herren ein Muttermal auf der Hand? Ein großes, auffälliges?»
«Was? Wieso wollen Sie das denn wissen?»
Innerlich seufzte Beatrice, mit dieser Reaktion war zu rechnen gewesen. «Es könnte ein wichtiges Detail in diesem Fall sein.»
«Ein Muttermal?» Er klang beinahe verärgert, als versuchte sie, ihn zu veralbern. «Keine Ahnung, wieso Sie das interessiert, aber da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen, tut mir leid. Wissen Sie, bei meinen Sängern achte ich hauptsächlich auf die Stimme.»
Drei weitere Interviews brachten einen weiteren Christoph. Danach waren auf der Telefonliste nur noch die kleinen Chöre übrig und die, deren Leiter sie nicht erreichen konnten. «Das sind jetzt schon vierzehn Leute, die wir uns ansehen müssen.» Entnervt warf Beatrice ihren Stift auf den Schreibtisch. «Bei meinem Glück ist erst der Letzte ein Treffer. Keiner der Chorleiter wusste etwas von einem Muttermal.»
«Geht mir auch so.» Florins ausgestreckter Arm fischte nach Beatrices Notizen. «Ich tippe jetzt mal alles zusammen, dann soll Stefan die Adressen heraussuchen.»
«Okay. Ich brauche unbedingt etwas zwischen die Zähne, soll ich dir was mitbringen?»
Stumm schüttelte Florin den Kopf, während er die Tabelle auf dem Bildschirm mit Namen füllte. Der verdrießliche Zug um seinen Mund spiegelte ihre eigene Laune wider: schon wieder ein Wochenende ohne Freizeit.
Ein Steaksandwich später, auf dem Weg zurück in ihr Büro, lief Beatrice Stefan
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