Fünf
ordnungsgemäß beeindruckt sind, dachte Beatrice. Um in Kossar auf den ersten Blick Züge einer narzisstischen Persönlichkeit zu entdecken, hatte sie lange genug studiert. Während der Psychologe sich über seine Zusatzqualifikationen ausließ und über den Fakt, dass er sie sich in den USA angeeignet hatte, wanderten Beatrices Gedanken zu Christoph Beil zurück.
«Impressive», murmelte sie und wählte die Nummer des Providers, dessen Netz der Owner benutzte. «Entschuldigen Sie, ich muss jetzt weiterarbeiten», erklärte sie dem sichtlich irritierten Kossar und beobachtete aus den Augenwinkeln, wie er sich endlich erhob und von Florin zur Tür begleiten ließ.
Der technische Mitarbeiter, den sie an den Apparat bekam, war derselbe wie gestern.
«Da haben Sie einen Volltreffer», erklärte er ihr. «Die gleiche Wertkarte, eingebucht in eine Funkzelle in Pasch. Es wurde genau die Nummer angerufen, die Sie genannt haben, das Gespräch hat etwa dreieinhalb Minuten gedauert. Von achtzehn Uhr vierundzwanzig bis achtzehn Uhr achtundzwanzig. Danach ging das Handy sofort wieder aus dem Netz.»
«Danke.»
Florin, der in der Zwischenzeit vergeblich versucht hatte, Drasche zu erreichen, sah sie aus zu Schlitzen verengten Augen an. «Er hat bei Beil angerufen, oder?»
«Ja. Es ist das erste Mal, dass er über Nora Papenbergs Handy telefoniert hat. Wir brauchen eine Abhörgenehmigung.»
Nachdenklich kringelte sie die Notiz ein, die sie auf ihren Block geschrieben hatte. Dreieinhalb Minuten. Sie hätte viel darum gegeben zu wissen, was in dieser kurzen Zeitspanne besprochen worden war. Noch wichtiger war allerdings …
«Ich habe kein gutes Gefühl, was Christoph Beil betrifft», sagte sie.
Florin runzelte die Brauen. «Geht mir genauso. Wir schreiben ihn zur Fahndung aus, vielleicht haben wir Glück.»
Sie stützte die Stirn in beide Hände. «Im schlimmsten Fall hat der Owner ihn zum Schweigen gebracht.»
Und zwar, nachdem er ihn uns unter die Nase gehalten hat, wie einen Köder, wie das Versprechen einer Lösung sämtlicher Rätsel
.
Sie schickten eine Beschreibung von Beil an alle Dienststellen, mit der Anweisung, auch nach seinem Wagen Ausschau zu halten. Florin führte die notwendigen Telefonate mit finsterer Miene. Er sprach es nicht aus, doch Beatrice war überzeugt davon, dass er die gleiche Befürchtung hegte wie sie selbst: dass sie Beil früher wiedersehen würden, als ihnen lieb war. In kleinen Portionen, luftdicht verpackt.
Am Nachmittag erhielten sie Nachricht aus der Gerichtsmedizin: Die beiden Hände waren genetisch ident, stammten also vom selben Körper. Ob die DNA auch mit der Liebschers, des vermissten Lehrers, übereinstimmte, würde erst in ein bis zwei Tagen feststehen, aber immerhin hatte der beleidigte Kollege – Bechner, sein Name war Bechner, erinnerte sie sich – in der Schule einen Kamm aufgetrieben, den Herbert Liebscher in seinem Fach aufbewahrt hatte, neben einer Packung Hustenbonbons und mehreren Säckchen voller Magensäurebinder.
«Gegen Sodbrennen», erklärte Florin und überflog Bechners Bericht. «Wie es aussieht, war … oder ist Liebscher bei seinen Kollegen als freundlich und gewissenhaft bekannt. Nicht allzu gesprächig, aber verlässlich. Eher humorlos. Unterrichtet Mathe und Physik.»
«Nichts darüber, dass er in letzter Zeit anders war als sonst?»
«Nein, keine Spur. Er hat mit seiner Klasse einen zweitägigen Ausflug geplant, der nächste Woche stattfinden sollte. Der Direktor sagt, als er ihn das letzte Mal gesehen habe, sei Liebscher lediglich darüber verärgert gewesen, dass immer noch nicht alle Teilnehmer bezahlt hätten und er den Bus nicht buchen konnte.» Achselzuckend ließ Florin das Papier sinken.
«Vielleicht ist er ja gar nicht unser Mann.» Beatrice streckte die Hand über den Schreibtisch, und Florin reichte ihr die Unterlagen, die auch drei Fotos enthielten, eines davon ein typisches Klassenfoto. Sechsundzwanzig Kinder um die vierzehn, daneben Liebscher mit angestrengtem Lächeln. Ein dünner Mann mit dünnem Haar. Ein weiteres Bild zeigte ihn im Porträt, ein drittes während des Unterrichts. Sein Gesicht war der Klasse zugewandt, in der rechten Hand hielt er ein Stück Kreide, mit der linken zeigte er auf die Funktionsgleichung, die an der Tafel stand.
Beatrice holte eine Lupe aus ihrer Schreibtischschublade und sah sich Liebschers Hände an. War es möglich festzustellen, ob es die gleichen waren, die sie bläulich verfärbt in den
Weitere Kostenlose Bücher