Fuer den Rest des Lebens
an Frauen, die viel sprechen, wie seine Frau, seine Schwester und die meisten Rechtsanwältinnen, die er trifft, denen die Worte ohne Anstrengung über die Lippen gehen, und auch wenn sie süß sind, diese Worte, so sind sie doch immer hart und schmerzhaft wie die Bonbons, mit denen man einen Jungen bei seiner Bar-Mizwa bewirft, und er hat das Gefühl, dass die Frau neben ihm einer fremden Gattung angehört, und er beobachtet sie neugierig, bemüht, geradeaus zu schauen, um sie nicht in Verlegenheit zu bringen, doch von der Seite wirft er ihr heimliche Blicke zu, versucht, jeder ihrer Bewegungen zu folgen, so viel Informationen wie möglich zu sammeln.
Ihre Hände, die das Lenkrad halten, sind schmal, die Haut etwas faltig, und auch an ihrem Hals entdeckt er den Ansatz eines Doppelkinns, die Zeichen des Alterns sind deutlicher zu erkennen, als er es in Erinnerung hat, aber vielleicht sind sie ja auch erst im letzten Monat bei ihr aufgetreten. In seiner Erinnerung war sie erhaben über die Zeit, eine Frau aus Marmor und Porzellan, und jetzt zeigt sich ihm ihre Haut in ihrer Verletzlichkeit, umhüllt, ein bisschen abgenutzt, dünne Arme, der lange Hals lässt filigrane Furchen sehen, wie Vogelspuren, es ist, als sei sie von dem Moment an, als ihr die Liebe Rafael Alons genommen wurde, dem Zugriff der Zeit ausgesetzt worden, aber er wird sie in seine Obhut nehmen und sie unterstützen, so wie er seinen Schützlingen beisteht, und er sehnt sich danach, ihr von ihnen zu erzählen, eigentlich von sich selbst, er möchte vor ihr angeben, er möchte ihr alle Errungenschaften seiner Vergangenheit schenken, die unschuldig Angeklagten, für deren Freispruch er gekämpft hat, die Kinder, für deren Ausbildung er sich eingesetzt hat, die Frauen, die er vor der Ausweisung gerettet hat, und die Häuser, deren Abriss er verhindert hat, alle Petitionen, alle Prozesse, alle Urteile, alle Beweisführungen, die ganzen Jahre.
Wieder betrachtet er heimlich ihr Profil, als sie die Haare hinter das Ohr schiebt, in dem ein kleiner Ohrstecker glitzert wie ein ferner Stern, er sieht ihre hohe Stirn, die schmale Nase, die Lippen, die mit einem Glossstift nachgezogen sind, das Auge, dessen Farbe er nicht feststellen kann, weil es hinter dichten Wimpern verborgen ist, das Lid flattert nervös, verändert ständig das Zusammenspiel der Details, als suche sie noch immer nach ihrer heimlichen Liebe, eine Witwe ohne Anerkennung und ohne Rechte, eine Konkubine. Sie wirft ihm einen Blick zu und lächelt weich, drückt auf einen der Knöpfe und seufzt, als eine Melodie erklingt, eine tiefe, traurige Männerstimme, ein einsames Horn, andere Blasinstrumente fallen ein, doch es hört sich an, als sei jeder Ton allein.
Das hat Rafael in den letzten Wochen am liebsten gehört, sagt sie, als erinnere sie sich an seine Bitte, ihm von dem Verstorbenen zu erzählen, kennen Sie es? Die Kindertotenlieder von Mahler, er hat kein Deutsch verstanden, aber wenn ich sie ihm übersetzen wollte, hat er es abgelehnt, und Avner überlegt, ob er sie bitten soll, die Lieder für ihn zu übersetzen, ob das vielleicht einen Treuebruch bedeutet, eine Aufweichung der Erinnerung an den Verstorbenen, doch dann, noch bevor er sich entschieden hat und noch bevor das Lied zu Ende ist, so schnell, dass es vermutlich auch sie überrascht, denn was für einen Sinn hat es, lange schweigend zu fahren und das Lied gerade dann zu spielen, wenn die Fahrt zu Ende ist, parkt sie das Auto vor einem Gebäude, von dem er nicht weiß, wo es steht, als wären seine Augen während der ganzen Fahrt verbunden gewesen, denn er hat nur sie gesehen.
Er steigt aus und sieht sich um, betrachtet forschend die schmale, dunkle Straße und entdeckt überrascht, wie nah er bei seiner eigenen Wohnung ist, und einen Moment lang kommt es ihm vor, als sei das Drehbuch ganz anders, als er es die ganze Zeit angenommen hat, als wäre sie es, die jedes Detail von ihm weiß, als habe sie ihn nach Hause gefahren, würde sich gleich von ihm verabschieden und weiterfahren, doch da schließt sie das Auto auch schon ab und winkt ihm, ihr zu folgen, über den schmalen Seitenpfad, der um den Haupteingang herumführt und von einem schmalen Bambuszaun gesäumt ist, und er wundert sich darüber, dass sie beschlossen hat, ihn in ihrer eigenen Wohnung zu empfangen, statt in eines der Cafés im Viertel zu gehen, eine Entscheidung, die viele seiner Fragen, die ihn in den letzten Wochen bedrückt haben, auf einen Schlag
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