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Fuer den Rest des Lebens

Fuer den Rest des Lebens

Titel: Fuer den Rest des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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sein Essen geliebt? Schließlich servierte er ihnen jeden Abend die Essenz seiner Existenz, in der törichten Hoffnung, es würde ihnen schmecken, bis sie eines Abends, als er ihnen wieder einmal angebranntes Essen vorsetzte, aufstand, wütend alles in den Mülleimer warf, samt Topf, aus der Küche lief und die Tür hinter sich zuknallte, sie hatte den Kindern gewinkt, ihr zu folgen, aber nur Avner stieg hinter ihr die Stufen hinunter, verschreckt, obwohl er schon kein Kind mehr war, sie gingen zu der nicht weit entfernten Pizzeria, die gerade eröffnet hatte. Schweigend aßen sie und beobachteten die Familien, die um die Plastiktische saßen, und Dina blieb zu Hause, mit ihrem Vater, der danach aufhörte, sie mit seiner Kocherei auf die Probe zu stellen, aber auch nicht mehr versuchte, sich auf eine andere Art einen Platz innerhalb der Familie zu sichern, deshalb wundert sie sich jetzt, dass er darauf besteht, sie zu füttern, schließlich ist sie, genau wie er, schon jenseits von Hunger und Durst. Ist das ihr erstes Treffen in der anderen Welt, wo er schon alteingesessen ist und sie neu hinzukommt, das genaue Gegenteil von ihrem ersten Treffen im Kibbuz? Wird er sich in der Welt der Toten an ihr rächen oder wird er sie edelmütig empfangen, wird er ihre welke Hand ergreifen und ihr die Schönheiten des Ortes zeigen, so wie sie ihn bei ihrem ersten Treffen zum See geführt hatte? Einen Moment lang wird er sich ihr zeigen, wie er damals war, mit seinem hellen, jugendlichen Gesicht, nur so wird sie ihn lieben können, wenn sie am Ende des Lebens ist und er am Anfang, nur so wird sie ihn sehen können, wie er war, einsam, bedürftig und fremd, wie schnell verwandelte sich seine Einsamkeit in Stärke, seine Bedürftigkeit in Aggressivität und seine Fremdheit in Entfremdung.
    Ihre Beine fangen an zu zittern, als sie ihm auf der Strickleiter entgegenklettert, wird er ihr seine schmale weiße Hand entgegenstrecken, die für einen Mann eigentlich zu klein ist? Er ist im Wachstum stecken geblieben, als hätte die Trennung von seinen Eltern ihn auch von seiner körperlichen Entwicklung getrennt, deswegen hat sie sich immer klobig neben ihm gefühlt, mit ihrer auffallenden Größe und mit ihren breiten Schultern. Am Ende passen wir doch zusammen, flüstert sie ihm zu, schau nur, wie ich geschrumpft bin, wenn ich mit dir durch die Allee der Totenwelt gehe, zwischen den Geistern der blauen Apfelbäume, in deren Zweigen sich die Wolken verfangen, werden wir in jeder Hinsicht wie Mann und Frau aussehen, man wird uns dort einen zweiten Hochzeitsbaldachin aufstellen, eine Wiedergutmachung für den ersten, beschämenden, im langen Schatten des Kriegs.
    Es war ihr Vater, der sie zum Hochzeitsbaldachin geführt hatte, so wie er sie zwanzig Jahre davor zum Laufen gezwungen hatte, immer stand er hinter ihr und bewachte jeden ihrer Schritte mit sieben blauen Augen. Wie gering war sein Vertrauen in ihre Kraft, er war es, der gesagt hatte, heirate ihn, Chemda, er ist ein guter Junge, er liebt dich, als wären das die einzigen Bedingungen für eine solche Entscheidung, und sie wagte nicht zu sagen, aber ich liebe ihn nicht, Vater, das heißt, ich liebe ihn nicht genug, so einfach und so verlockend war es, in seinem Mangel an Zutrauen zu ihr zu versinken und Elik alles aufzuladen.
    Unter dem Baldachin im Speisesaal, an einem verregneten Abend, als die Sümpfe des Kibbuz übers Ufer traten und die Wiesen überschwemmten, die Bäume, die sie gepflanzt hatten, als Schutz vor den Syrern, die auf den Bergen saßen, hatte sie das Gefühl, es handle sich nicht um ihre Hochzeit, sondern um ihre Bar-Mizwa, die nie gefeiert und in ihrem atheistischen Kibbuz noch nicht einmal erwähnt worden war. Es schien sich um ein innerfamiliäres Ereignis zu handeln, das nur sie und ihre Eltern etwas anging, und jeder einzelne Gast war ein Außenseiter, sogar der Bräutigam neben ihr, der vielleicht der höchste der Gäste war, aber auf keinen Fall ein Mitglied der Familie.
    Wie schön waren ihre Eltern an jenem Abend, die Mutter in einem cremefarbenen Seidenkostüm, den ergrauenden Zopf zum Schmuck um den Kopf gelegt, die Augen feucht und gut, die von den ersten Fältchen umgebenen Lippen zu einem naiven Lächeln geöffnet, als verstehe sie nichts, und vielleicht verstand sie wirklich nichts, diese kluge Frau, mit der sich die Obersten der jüdischen Siedlungen berieten, einige dieser Männer waren heimlich in sie verliebt, eine Frau, die komplizierte soziale

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