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Fuer den Rest des Lebens

Fuer den Rest des Lebens

Titel: Fuer den Rest des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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Kind, sagt sie leise, aber man hat es mir weggenommen und anderen Eltern gegeben, ich konnte es nicht aufziehen, ich war auf Drogen, man hat es mir weggenommen.
    Wann war das?, fragt Dina und versucht, ihr Entsetzen zu verbergen, und Röchele antwortet, vor fünfzehn Jahren, der Junge ist jetzt siebzehneinhalb, ich arbeite schon seit vielen Jahren schwer, denn wenn er mit achtzehn plötzlich beschließt, seine Adoptionsakte einzusehen, und mich treffen will, soll er wissen, dass ich mich geändert habe und er sich meinetwegen nicht zu schämen braucht. Haben Sie eine Ahnung, wo er ist, will Dina wissen, und Röchele schüttelt den Kopf, ich weiß nicht, wo er wohnt und wie er heißt, aber ich bin sicher, dass ich, wenn ich ihn sehe, sofort weiß, dass er es ist, nur dafür lebe ich, für diesen Moment, an dem man mir sagt, dass er seine Akte aufgemacht hat und mich treffen will, ich habe mir dafür schon ein Kleid angeschafft, eins für den Winter und eins für den Sommer, nur damit er sich nicht für mich schämt.
    Er wird sehr stolz auf Sie sein, Röchele, sagt Dina und legt die Hand auf den Arm der Frau, danke, dass Sie es mir erzählt haben, fügt sie hinzu, ich wollte Sie nicht verletzen, ich habe gedacht, das ist eine einfache Frage, aber vermutlich gibt es keine einfachen Fragen, und bestimmt keine einfachen Antworten, und sie nimmt zwei Schalen und füllt sie mit dem dicken Tomatenbrei, wie zwei Schwestern werden wir in der Küche sitzen, essen und uns unsere Geheimnisse erzählen, denkt sie, geheimnisvolle Fäden verbinden den Menschen mit seinem Nächsten, geheimnisvolle Fäden bestimmen unser Leben, wie blinde Straßenbahnen stampfen wir durch die Straßen und dabei gelingt es uns nicht einmal, den Blick zum Himmel zu heben, um das Stromnetz über unseren Köpfen zu erkennen.
    Schweigend sitzen sie sich gegenüber, tauchen ihre Löffel in den tröstenden Brei und führen sie zum Mund wie zwei kleine Kinder, bis Röchele sich schüttelt, ich werde jetzt Mutter füttern, sagt sie, als handle es sich um ihrer beider Mutter, und Dina nickt gedankenverloren, man hat meinen Jungen adoptiert, hat Röchele gesagt, such dir den Jungen, hat ihre Mutter gesagt, und jetzt kommt es ihr vor, als würde eine neue Aufgabe auf sie warten, eine Aufgabe, die durch ihre Adern fließen würde wie eine stärkende, Heilung bringende Infusion, denn vielleicht kommt in genau diesem Moment hier oder in einem anderen Land ein Kind auf die Welt, dessen Mutter es nicht aufziehen kann, und alles, was sie tun muss, ist, dieses Kind zu finden und es an ihr Herz zu drücken.
     
    Das Geschrei der unten spielenden Kinder bohrt sich wie Dornen in ihr Fleisch, sie machen sich schon nicht mehr die Mühe, sie zu rufen, und sie zum Spielen zu überreden, wie soll sie auch mitmachen, wenn sie nicht laufen kann.
    Sie liegt unter dem Pfefferbaum und vergnügt sich mit den roten Beeren, die an den Zweigen hängen, sie senken sich herunter zu ihr, gleich wird sie sie berühren können, aber ein warmer Windstoß entfernt sie von ihr und sie streckt ihre kurzen Arme aus, wie hoch die Zweige sind, nie werden sie sich ihr wieder zuneigen, auch sie sind Verräter, die roten Beeren, locken sie und verschwinden, fordern sie von weit oben heraus.
    Ist es das, was sie den ganzen Tag tut?, hört sie ihre Mutter seufzend sagen, sucht ihr ein Kind, sucht ihr ein Kind, mit dem sie spielen kann, selbst wenn es nur ein Baby ist, das neben ihr im Laufstall liegt, sie kann nicht ganze Tage lang allein sein, aber ihr Vater weigert sich, sie ist fast drei Jahre alt, sie muss endlich dieses Alleinsein satthaben, damit sie anfängt zu laufen, und wenn sie Gesellschaft bekommt, könnte sie lahm bleiben.
    Da beugt sich ihre Mutter zu ihr, einen Moment lang ist sie ganz nah, dann ist sie sofort wieder weg, wie die glänzenden Pfefferbaumbeeren, sie lockt und verschwindet, nie gehört sie ins Haus, immer ist sie nur zu Gast, hinterlässt ein paar Wörter und verschwindet. Sucht ein Kind für sie, wiederholt sie, aber was hat sie mit den anderen Kindern zu tun, sie hasst sie und ihr Geschrei, das gegen sie gerichtet ist, wenn sie bloß still wären, wenn sie bloß das einzige Kind auf der Welt wäre. Wieder hört sie, wie sie sie verspotten, was für ein Name ist das, Chemda, ein Name für eine Kuh, mach muh, Chemda, und sie schieben spöttisch ihre Lippen vor. Ihr Vater wünscht sich so sehr, dass sie wie die anderen Kinder ist, und trotzdem hat er ihr diesen ausgefallenen

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