Fuer den Rest des Lebens
noch nicht einmal zu sagen, das ist meine Reservebrille, oder das ist die Brille von meinem Freund, um damit zugleich klarzustellen, dass sie einen Partner hatte, dass sie es nicht nötig hatte, obwohl und vielleicht weil sie ihm gegenüber ein heftiges Bedürfnis empfand, und er nahm ihr sanft die Brille ab und legte den Fotoapparat zur Seite, er stand hinter ihr vor dem Spiegel, zog ihr das lange, graue Kleid aus, den Büstenhalter und die Unterhose, und da er ein bisschen kleiner als sie war, war er im Spiegel fast nicht zu sehen, es sah aus, als würden ihre Kleidungsstücke von allein zu Boden fallen, doch dann spürte sie das plötzliche Eindringen in ihren Körper und sah, wie ihre Schultern sich senkten und ihre Brüste sich bewegten und das Entsetzen auf ihrem Gesicht, noch nie hatte sie sich während des Aktes gesehen, und sie konnte nicht wegschauen, ihre vor Lust aufgerissenen Augen, einer Lust, die sie sich nie vorstellen konnte, und ihre Lippen öffneten sich vor Sehnsucht, geküsst zu werden, sie wirkte so weiblich und hingebungsvoll, auf eine alte und fast kränkende Art, eine Frau, deren Körper sich einem Mann öffnet, noch dazu einem fremden Mann, der gerade eine andere Frau weggeschickt hatte.
Ihr Atem beschlug den Spiegel, als sie einen lustvollen Seufzer ausstieß, und Tränen stiegen ihr in die Augen, erst dann tauchte er hinter ihr im Spiegel auf, weine nicht, Süße, flüsterte er, irgendwann würde er auch Nizan so nennen, aber er fragte nicht, warum sie weinte, und wenn er gefragt hätte, hätte sie es erklären können? Zu ihrem Erstaunen nahm er sie in die Arme, legte ihren Kopf an seine Schulter, und seine Haut hatte den herben, anziehenden Geruch von Kiefernharz, es waren die schweren Kiefern, die sein Dach umgaben, wie sie heute ihr kleines Arbeitszimmer umgeben, und er sagte, es braucht dir nicht leidzutun, was du willst, wird geschehen, nimm dir Zeit, ich bin hier, er zeigte ihr mit diesen wenigen Worten, dass ihm ihre Situation klar war, er verpflichtete sich mit Leichtigkeit, als hätten die Worte keinen Wert, oder im Gegenteil, als gäbe er ihr ein großes, überraschendes Geschenk, was du willst, wird geschehen. Wie sollte sie wissen, was sie wollte, sie kannte ihn doch nicht, hatte er das auch der Frau ins Ohr geflüstert, die vor ihr hier war? Als sie am Abend nach Hause kam, fand sie Etan vor, der in der Küche auf sie wartete, er schnitt Gemüse für Salat, und sie nahm seine Hand und erzählte ihm mit zitternder Stimme, was am Morgen passiert war, und er schüttelte den Kopf, als könne er es nicht glauben, Dini, Dini, sagte er immer wieder, und in der Nacht packte er seine Sachen und zog aus, und sie lief trauernd in der leeren Wohnung herum, es war, als wäre ihr Vater noch einmal gestorben und hätte sie allein mit ihrer Mutter zurückgelassen, und wieder war niemand da, dem sie die Schuld geben konnte, nur sich selbst, denn der Fotograf auf dem Dach erkannte das Ausmaß des Vorfalls nicht, er war unfähig, ihre Reue und ihre Trauer zu erfassen, und vor allem war er nicht daran interessiert, in Konkurrenz zu einem Mann zu treten, der sie bedingungslos geliebt hatte, obwohl er weniger als ein Jahr später bereits eine andere Frau heiratete, vermutlich hat er dich doch nicht so sehr geliebt, obwohl es auch ein Zeichen der Krise sein konnte, in die er geraten war, und vielleicht sind auch die vier Kinder, die er mit seiner reichen amerikanischen Frau in einem Dorf in den Jerusalemer Bergen bekommen hat, ein Zeichen seiner Liebe zu dir, wer weiß, und du bist mit einem fremden Mann zurückgeblieben, den du bis heute nicht ganz verstehst, dessen Verschlossenheit und Kälte du dir nicht erklären kannst, und andererseits auch nicht seine Treue, und bis heute sind dir die seltenen Momente der Nähe zwischen euch kostbarer als der Überfluss, den du von anderen Männern vielleicht erwarten könntest.
Das Leben, das sie an Gideons Seite führte, zwar nicht mit ihm, aber durch Nizan verbunden, passte zu ihr, aber nun, da sie allein vor dem Computer auf dem verglasten Balkon sitzt, umgeben von Kiefernnadeln, erkennt sie, dass ihnen zum ersten Mal, seit jenem Moment in seiner Dachwohnung, eine Entscheidung bevorsteht und dass all ihre Liebe und all ihr Hass, ihre Freundschaft und ihre Auseinandersetzungen, ihr Glück und ihre Schmerzen auf der einen Waagschale liegen, während auf der anderen Waagschale zum ersten Mal eine schwere, bedrohliche Forderung liegt, eine Forderung, die
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