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Fuer den Rest des Lebens

Fuer den Rest des Lebens

Titel: Fuer den Rest des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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von irgendwoher gewachsen ist, ihre Wurzeln aber tief in ihren Grundfesten und in ihren Geheimnissen hat.
    Nur dieser Gedanke schafft es, ihr Leben einzuhauchen, ihr den wunderbaren Ball der Zukunft zurückzugeben, nur der Gedanke an das Baby, das irgendwo auf sie wartet, und trotzdem scheint es ihr so unrealistisch, dass sie noch nicht einmal versucht, sich die Umsetzung vorzustellen, wie sie früher, in ihrer Kindheit, zeitvergessen in Phantasien lebte, sie sitzt da in ihrem durchsichtigen Arbeitszimmer und starrt den Computer an, dein Kontrollturm, hat Gideon den Raum immer lachend genannt, denn von hier aus beobachtet sie die Vögel und die Baumwipfel und die Zweige und die Dächer mit den Sonnenboilern, sie beobachtet alle, die sie nicht brauchen, den Tisch beladen mit Prüfungsaufgaben, die sie korrigieren muss, was für eine seltsame Kindheit, sagt sie wieder. Ihr Handy klingelt und sie hört Nizans Stimme, warte nicht auf mich, Mama, verkündet sie, ich schlafe bei Tamar, sie hat eine leere Wohnung, und dann fragt sie erstaunlicherweise, ist alles in Ordnung bei dir? Und Dina beeilt sich zu sagen, ja, natürlich, warum fragst du?
    Du bist ein bisschen sonderbar in der letzten Zeit, sagt Nizan, doch dann wird ihre Stimme vom Schullärm verschluckt, und Dina antwortet mühsam, sonderbar? Wieso denn? Sie möchte, dass ihre Nöte das Gespräch nicht überschatten, sie will ihrer einzigen Tochter nicht zur Last fallen, so wie ihre Mutter es immer getan hatte, aber Nizan ist schon bei etwas anderem, also ich komme morgen Nachmittag, bye, sie wird von ihren Freundinnen weggerufen, vielleicht wird sie ihnen erzählen, wohin jener Junge verschwunden ist, der neben ihr im Bett geschlafen hat, viel Spaß, Mama, nun hast du einen romantischen Abend mit Papa, sagt sie lachend, und Dina sagt, danke, mein Schatz, obwohl das Gespräch schon unterbrochen ist, und sie legt den Kopf auf den Stapel Hefte, ihre Augen brennen, der Ventilator bläst ihr warme Luft entgegen, ihr Kontrollturm wird schnell glühend heiß und füllt sich mit Wüstensand, obwohl die Fenster geschlossen sind.
    Ja, es erwartet sie ein romantischer Abend, was wird sie ihm an diesem Abend sagen, such dir ein Kind, hat meine Mutter im Schlaf gemurmelt? Bring mir einen Sohn, sonst sterbe ich? Sie hat doch keine Ahnung, um was es geht, wie man so etwas macht, wie man anfängt, und plötzlich stürzt sie sich auf den Computer, wie leicht ist es heute, Informationen zu bekommen, Informationen im Überfluss, denn in wenigen Stunden kann sie mehr Menschen treffen, als sie je in ihrem Leben getroffen hat, Menschen, die sich wie sie nach einem Kind sehnen, die sich seltsame, manchmal lächerliche Namen geben und sich trotzdem vollkommen ernst darstellen und die man auch so behandelt, und sie beteiligen sie gern an ihren Geschichten, an ihren geheimen Wünschen, vor allem an ihren Mühen in fremden, seltsamen Ländern, gegenüber undurchsichtigen, geldgierigen Behörden mit komplizierten Verwaltungsapparaten, wobei sie offenbar hilflos waren, aber voll brennender Hoffnung, und sie sind ihr fremd und in vielem doch näher als ihr Ehemann und ihre Tochter, als ihre Mutter und ihr Bruder, und plötzlich kommt es ihr vor, als schlage im Computer, den sie bisher nur zur Arbeit benutzt hatte, ein freundliches, großzügiges Herz, und sie liest und liest mit angehaltenem Atem von Männern und Frauen, gemeinsam und einzeln, die kein Kind auf die Welt bringen konnten, und die Welt ist voller Kinder, auch wenn der Weg zu ihnen lang und kompliziert ist, voller Erfahrungen und Wunder, und so haben sie ein Kind bekommen und ihm ein Heim gegeben, und ihre Geschichten beschreiben eine beispiellose Verliebtheit, ein Gefühl von Berufung und tiefer, tiefer seelischer Bindung.
    Da ist zum Beispiel diese Frau, die sich selbst Paternosterbaum nennt und sich in diesem Moment in einem gottverlassenen Dorf in der Ukraine befindet, sie wartet schon lange darauf, das Mädchen zu sehen, das für sie bestimmt ist, und all ihre Freundinnen schicken ihr warme Worte der Ermutigung und der Hoffnung, obwohl sie sie nie getroffen haben, sie erzählen ihr von ihren eigenen Erfahrungen, von zurückgelassenen Kindern, die zu einem neuen Lebensinhalt wurden, und plötzlich bekommen die abgerissenen Wörter ihrer Mutter eine erregende Wirklichkeit, ja, es ist möglich, so etwas gibt es ganz real, sie gehört jetzt zu diesen Menschen, die ein Kind adoptiert haben, auch wenn die meisten jünger sind als

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