Für ein Lied und hundert Lieder
Leute schickte, die mich verhörten.
»Kennst du uns nicht mehr?«, fragte ein roter Fettsack mit Beijinger Zungenschlag und goss sich aus einer großen Plastikflasche gluckernd Wasser ein.
Ich schüttelte den Kopf.
»Chongqing ist ein Backofen, der hat dir das Gedächtnis eingedampft«, er machte sich lustig. »Mein Name ist Huang, ich habe dich auf dem Kiefernberg verhört.«
Mir fiel es wie Schuppen von den Augen: »Ihr seid wegen Zeng Lei hier?«
»Hast wohl nicht gedacht, dass deine Kumpane dem Militärgericht in die Hände fallen, was?«, erklärte der Fettsack ohne Umschweife, »er hat keine Ahnung von Literatur, er hat keine Ahnung von Gedichten, er hat sich blindlings auf euch eingelassen – und du hast die Idee gehabt, dass ihr euch seine Filmausrüstung ausleiht und ihm nachher Geld gebt, und er hat sich aus Kameradschaft darauf eingelassen.«
»Hat Zeng Lei das so gesagt?«
»Wir haben es erraten, so Pi mal Daumen.«
»Ihr erniedrigt die Menschen.«
»Pass auf, was du sagst!«, warnte der Hippo des Fettsacks, »wir haben dich zu nichts gezwungen.«
»Zeng Lei ist ein hochrangiger Soldat, aber ein bisschen einfach gestrickt, er würde nie Geld nehmen, wenn er etwas aus Freundschaft tut. Er hat keine Ahnung von Gedichten, wie soll er da begriffen haben, was bei unseren Aufnahmen herauskam?«
»Das ist allerdings richtig.« Der Fettsack verzerrte den Mund zu einem Lachen: »Mach nur weiter mit deinem Geständnis.«
Es war drückend heiß, der Fettsack goss sich ununterbrochen Wasser nach, die Uniformjacke hatte er längst in die Ecke geworfen, selbst der Rücken war durchgeschwitzt. Aus dem Nichts gab es einen schrecklichen Donner, draußen fing es an zu schütten wie aus Kübeln, das Licht ging aus, der Fettsack fluchte in Richtung des verdunkelten Himmels: »Fick dich!« Das Verhör wurde überstürzt beendet.
In diesem diesigen Dunkel unterschrieb ich oder machte ein Kreuz und wartete apathisch auf das Ende des Regens. Der Fettsack führte eine sehr einseitige Plauderei, das Licht ging wieder an, der Regenvorhang war so dicht, dass kein Lüftchen hindurchkam, wir waren im Zentrum eines Ozeans aus Wut festgebunden.
Das Gefängnis ähnelte einem abgeschotteten Boot, wann würde es ablegen? Ich konnte spüren, wie sich die Welt außerhalb des Bootes jeden Augenblick veränderte, und ich wusste nicht, ob ich mich dem in Zukunft würde anpassen können.
Am Ende hörte der Regen nicht auf. Der Fettsack stand auf, zog seine Jacke über, verließ als Erster den Raum, ging durch den Korridor, richtete sich unter dem Dachvorsprung auf, zögerte einen Augenblick und sagte dann: »Wahrscheinlich ist der Himmel undicht, jetzt lauf erst einmal zurück, Regen hin, Regen her.«
Ich widersprach nicht, nahm die Beine in die Hand und stürzte die Treppe hinunter. Ich stand mitten auf dem Parkplatz und schaute eine Viertelstunde nach oben. Seit ich im Knast war, hatte ich keinen Himmel mehr gesehen, der so groß, so mächtig war. Dunkle Wolken, die sich ständig veränderten wie ein Schwarm fliehender Pferde, mit fliegenden Mähnen, die eisernen Hufe traten Blitze los, längst saß meine Seele auf dem Rücken eines Pferdes, meine Seele hatte längst den klaren Nachthimmel erreicht! Um mich herum standen ein paar Autos, den Traum, mit dem Auto aus dem Gefängnis zu fliehen, hatte ich schon oft geträumt, ich streckte die Hand aus und streichelte über eine Windschutzscheibe, ich zitterte, als hätte ich einen Stromschlag bekommen, und als ich mich nach allen Seiten umschaute, schlug mir das Herz bis in den Hals. Ach, diese flüchtigen Wunschbilder trieben einen zur Verzweiflung!
Wiederholtes Pfeifen, mir blieb nichts übrig, ich musste hier weg, noch eine Treppe hoch. Ich kam sicher in den Gefangenenkäfig zurück, dankte Gott, dass er mir in Regen und Wind zwanzig Minuten für mich selbst geschenkt hatte – als Preis für diese kurze Zeit der Freiheit war ich eine Woche lang erkältet.
Ich hatte immer noch Wache bei den Todeskandidaten, ich war längst an der äußersten Grenze meiner körperlichen Leistungsfähigkeit angelangt, ich war gezwungen, meinen Gemütszustand zu kontrollieren, um mit aggressiven Verhören fertig zu werden, das Sprechen war mir zuwider, das Denken war mir zuwider, unterbewusst war es mir sogar zuwider, an meine Familie zu denken. Meine Augen waren schon aus Gewohnheit halb geschlossen, ich las einen Brief und schlief, ich ging irgendwohin und schlief, und es war keine
Weitere Kostenlose Bücher