Für ein Lied und hundert Lieder
auf dem Rücken, den rechten Arm gerade von sich gestreckt, nur die rechte Hand hielt waagerecht die Schere, das Handgelenk bewegte sich kraftvoll, senkte sich zwei-, dreimal, und ein räudiger Kopf war geschoren. Dabei kamen aus ihrem Mund unentwegt Schreie wie »Nach links, nach rechts, Kopf hoch, runter mit der Birne« und dergleichen Fachvokabular der Friseurkunst.
Als der Vorsitzende Chen sah, dass die Reihe bald an ihn kommen würde, stahl er sich klammheimlich zu einem alten Beamten, aber er wurde von Regierung Liu, der Nummer zwei, entdeckt: »Packt diese querlaufende Krabbe!«
Während er das sagte, hob er die Schere und holte den Vorsitzenden ein, drückte ihm mit dem Handgelenk das Genick eine Minute lang nach unten, und ritschratschritschratsch ging es über ihn her. Der Vorsitzende Chen ging runter wie zum Lauchziehen und war noch nicht wieder oben, da bekam er auch schon einen Tritt in den Hintern.
Ich hatte einen Vollbart, jedes Mal, wenn sie mir den Schädel rasierten, floss Blut, es sah aus, als hätten sie mich umgebracht. Ein Stück Haut von meinem Hinterkopf musste daran glauben, wahrscheinlich, weil die Schere stumpf war und die Friseure umso wütender zu Werke gingen und die kleinen Stahlzähne sich ins Fleisch bohrten. Der Kerl zog aus seiner Tasche ein halbes Blatt Toilettenpapier und pappte mir patsch einen Fetzen auf die Wunde, und wo er schon dabei war, wischte er sein mit Haaren und Blut beschmiertes Folterinstrument an meinem Ärmel ab.
»Wo gehobelt wird, da fallen Späne«, tröstete mich der Tote Chen mit seinen leblosen Fischaugen. »Man muss erst Angst haben, wenn sie sich einen Spaß machen, wenn sie an der einen Seite ein Büschel stehen lassen und gegenüber eine Strähne und man aussieht wie einer, der sie nicht mehr alle hat.«
»Dass es im Knast keine Frauen gibt, davor muss man Angst haben!«, widersprach der kleine Yang, unser Blasser Magister, wobei er sich den Kopf wusch, »im Ausland, die Hippies, die sehen so aus.«
»Hoffentlich verpassen sie dir vor der Gerichtsverhandlung einen Yin-yang-Kopf, wo eine Seite kahlrasiert ist«, fluchte der Tote Chen, »wenn der Richter das sieht, dann wird ihm so schlecht, dass er dich aus reiner Übelkeit zum Tode verurteilt.«
»Von allen Glatzen hier in der Zelle ist nur meine vorschriftsmäßig«, prahlte der alte Sun.
»Lass mich mal fühlen!«, der kleine schwarze Affenkopf sprang auf und lobte: »Tatsächlich, glatt wie ein Eselsei.«
»Du fühlst sein Alter«, bremste ihn der Vorsitzende Chen, »außerdem ist das das Geschäft von Regierung Li.«
»Das heißt ›Lasst hundert Blumen blühen‹«, machte ich bei dem Spaß mit, »jeder Kopf ist einzigartig, wenn man genau hinsieht.«
»Richtig«, sagte der Kleine Schwarze Teufel und zog sich eine Strähne in die Stirn, »wenn alles weg wäre, hätte man nichts zum Spielen.«
»Eigentlich sorgt die Regierung dafür, dass wir einen Heidenspaß miteinander haben und nie Langeweile aufkommt!« Dem Vorsitzenden Chen schien es wie Schuppen von den Augen zu fallen.
Er war noch am Lachen, als die Zellentür noch einmal aufging; »Fotos der Neuen!« Ein spitzer Schrei von Regierung Ju.
»Die aufgerufenen Namen herauskommen!«
Aus jeder Zelle kamen Leute, aber keiner, der die gleiche Anklage hatte wie ich. Alle gehorchten und bauten sich in Reih und Glied auf. Unter dem Kommando von Rotfellen stiegen wir zum Fuß der Nordmauer hinunter, Regierung Ju wartete schon, bierernst, mit der Kamera unter dem Arm. Der Gefängnisarzt, ein Rotfell, überprüfte nacheinander Namen und Gefangenennummer, schrieb beides mit Kreide auf ein kleines Holzschild und hängte einem das Requisit um den Hals. Jetzt konnte man vorschriftsmäßige Gefangenenbilder machen.
Meine Nummer war 099, Regierung Ju machte mit der hohen Mauer als Hintergrund zwei Fotos von mir, eins von weiter weg und eine Nahaufnahme. Die Holztafel stützte den Unterkiefer, es sah sicher aus wie ein satanischer Wolf.
Ich hob den Kopf und schielte zum Kranz der Mauer hinauf in den Abendschein, es blendete die Augen: Blut!
Der blaue Himmel hing voll von Sternglöckchen, der Mond tauchte zu früh auf.
»Morgen wird es noch heißer«, dachte ich, doch für heute vergaß ich die Glut des Leibes. Kopfscheren und Fotos hatten die Nerven zu weit aufgezogen wie die Spiralfeder eines Weckers, irgendwann würde da drin etwas Alarm schlagen.
»Wie viel halte ich noch aus?«
Das habe ich mich oft gefragt, und doch, die Demütigungen
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