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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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genießen? Kein Weg!«
     
    Der Herbstregen ging einem in seiner Endlosigkeit bis ins Mark, alle fingen an zu schimmeln. Weil sich in der Zelle die Kisten stapelten, hatten wir kaum Bewegungsraum, außer den notwendigsten Notwendigkeiten wie Essen, Trinken und Verrichtung der Notdurft kam die Meute auf dem Kang einmütig ihren Pflichten nach. Zwei Monate gingen ins Land, und ich hatte mir einen Rettungsring angesessen. Mein Anwalt, der mir zuwider war, war alt, weitsichtig und der Auffassung, dass sie mich im Gefängnis fett gemästet hätten.
    »Das ist ein Ödem«, stellte ich ärgerlich richtig.
    »Aber du hast ganz rote Backen.«
    »Wenn ich Sie sehe, bin ich so aufgeregt«, sagte ich artig.
    Ich hatte um den Oktober herum einen Anwalt gesehen, aber vor gut einem halben Jahr hatte Damao den hier über einen hohen Provinzbeamten engagiert. Wir zu Hause waren ganz normale Bürger, wir glaubten ohne Wenn und Aber an das Gesetz – und die »Verkörperung des Gesetzes«, die ich da vor mir hatte, war ausgerechnet dieser verdammte alte Zausel.
    Aus seiner Hand nahm ich meine Anklageschrift entgegen, las sie, schweigend, zweimal, gab sie ihm zurück, setzte mich an den Tisch und hing meinen Gedanken nach. Ich weiß nicht, warum ich gegen diesen kraftlosen alten Mann so voreingenommen war, während von zu Hause und von Freunden ein Brief nach dem anderen kam, in denen sie mich davon zu überzeugen versuchten, endlich meine sture Haltung gegenüber dem Anwalt aufzugeben – ein Strafgefangener ist nicht Herr über sein eigenes Schicksal.
    Nach den Gepflogenheiten des chinesischen Rechtswesens musste ein Anwalt in einem schwierigen politischen Prozess von den Komitees für Politik und Recht anerkannt werden oder direkt von ihnen eingesetzt worden sein, um sich vor Gericht mit der Regierung grundsätzlich einig zu sein. Deshalb hat einer meiner Mitangeklagten zu seinem eigenen Glück und zu seiner großen Zufriedenheit öfter eine ziemlich hübsche Anwältin engagiert.
    »Jedes Mal, wenn sie kam, war ich ganz durcheinander«, sagte der Satyr strahlend, »vor allem im Sommer, allein ihre großen Brüste haben einen umgehauen, und dann muss man über diesen Scheißfall reden.«
    »Und was hat sie vor Gericht gemacht?«, fragte ein anderer von meinen Mitangeklagten.
    »Wenn ich mit ihr etwas hätte anfangen können, das wäre zwei Jahre mehr wert gewesen, also hatte ich vor, im Herzen der Diktatur einen Präzedenzfall zu schaffen. Hast du immer noch nicht begriffen, dass das chinesische Gesetz nur aus Gummiparagraphen besteht? Du willst dich mit Hilfe eines Anwalts verteidigen? Träum weiter!«
    Ich hörte den Belehrungen meines Anwalts zwei Stunden zu, er redete wie ein Wasserfall; als ich ging, schwirrte mir der Kopf. Als ich mit weichen Knien am Ende der Steintreppe ankam, wandte ich mich um und sagte, mich an ein letztes Fädchen Hoffnung klammernd: »Herr Anwalt, meine Ernährung ist ernsthaft nicht gut, können Sie das nächste Mal nicht etwas zu essen mitbringen?«
    Der alte Winkeladvokat warf mir einen wilden Blick zu, und ich beeilte mich zu erklären: »Macht nichts, andere Anwälte bringen ihren Verbrechern Sachen herein, und die Beamten haben mir sogar eingelegte Senfknollen mitgebracht.«
    »Soviel ich weiß«, sagte der Alte in seinem widerlichen Beamtenjargon, »ist das Essen hier von allen Gefängnissen in der Stadt das beste.«
     
    Zurück in der Zelle, sprang der Tote Chen vom Kang und sah mir lachend ins Gesicht: »Hast du Zigaretten mitgebracht?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Getrocknetes Rindfleisch?«
    Ich schwieg.
    »Mann, so ein politisches Verbrechen bringt aber auch gar nichts ein!«, sagte der Tote Chen verloren, »kein Wunder, dass die Anwälte alle Wirtschaftsprozesse so mögen.«
    »Jeder hier in der Zelle ist in besserer Stimmung als du«, sagte der Vorsitzende Chen spöttisch.
    »Wenn du die Zelle wechselst, dann bin ich noch besserer Dinge«, gab der Tote Chen die Höflichkeit zurück.
    »Vergesst es!«, mahnte ich, »und wischt euch mal den Schmand aus den Augen!«
    »Davon hast du selbst genug«, fand der Kleine Tote.
    »Ja, bei dem Wetter kommt einem das Körperfeuer mangels Yin durcheinander«, brachte ich als Entschuldigung vor.
    Der Vorsitzende Chen und ich gingen gemeinsam deprimiert zum Abendessen, Kürbissuppe, alter Reis. Der Fressnapf, den ich bekam, leckte, so dass mir nur ein halber Napf übrig blieb mit halbrohem Reis. Als der Vorsitzende Chen das sah, wollte er es mir aus

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