Für ein Lied und hundert Lieder
»Halt durch!«
Ich schwebte aus der Zelle direkt in das Verhörzimmer und saß auf der besonderen Steinbank für Kriminelle. Mein Körper und mein Geist standen unter den Grippemitteln, mir war abwechselnd kalt und heiß. Gefängnisdirektor He übernahm den Vorsitz, Regierung Bai kritzelte schief das Protokoll.
»Wie ein verdammter Opiumjunkie!«, murmelte der gute He, das war die Vorrede. Und sofort brüllte er mit markerschütternder Stimme: »099!«
Ich riss die Augen auf wie zwei Hühnereier und erkannte ganz deutlich zwei ungeheuer einflussreiche Gesetzeshüter. Danach zogen sich die Hühnereier ganz langsam wieder zusammen und wurden zu Schlitzen. Die Gesetzeshüter sahen darin aus wie zwei symmetrische Fleischbälle, einer weiß, einer schwarz.
»Polizisten sind alle so fett«, dachte ich, »und die Gefangenen sind bis auf die Knochen runter, wie Tagelöhner, die von ihren Grundbesitzern bis aufs Blut ausgepresst werden.«
»Hier ist blinzeln nicht erlaubt!«, sagte der schwarze Klops mit missmutiger Miene.
»Wenn man kurzsichtig ist, schaut man so.«
»Du mit deiner Kurzsichtigkeit«, der weiße Klops konnte sich gar nicht beruhigen, »und so was will Akademiker sein.«
Dann stritt ich hartnäckig alles ab. Das war ein Instinkt, bei jedem erfahrenen Knastinsassen, ich hätte selbst noch im Schlaf alles und jedes rundweg geleugnet.
Ich gab nicht einmal zu, dass ich einmal Gedichte geschrieben hatte. Wenn es nötig gewesen wäre, hätte ich abgestritten, überhaupt am Leben zu sein. Meine Arme waren geschwollen und glänzten wie bei einem Gewichtheber, der wegen einer Verletzung aufgehört hat, von meinen aufgerissenen Handrücken rann Eiter. Ich hatte das Gefühl, dass von meiner Schädeldecke ebenfalls Eiter troff, da drin war alles voll gärendem, stinkendem Leim.
»Rückenfesseln beeinträchtigen das Denken«, protestierte ich.
»Es ist die Funktion von Strafwerkzeugen, dich zum Nachdenken zu zwingen«, plänkelte der weiße Klops mit mir herum.
»Solange diese Fragen nicht geklärt sind, bleibst du in der Fessel!« Der schwarze Klops öffnete seine hitzedampfende Jacke, die Füllung darin war noch schwärzer: »Und wenn wir sie anderthalb Jahre dranlassen.«
»Körperliche Strafen sind zeitlich begrenzt, Herr Gefängnisdirektor, sie verstoßen wider besseres Wissen gegen das Gesetz!«
Der schwarze und der weiße Klops fingen gleichzeitig gackernd an zu lachen: »Das klingt wie von einem Mittelschüler. Ich sage dir, unsere Todeskandidaten hier hatten früher ständig die Hände auf den Rücken gefesselt und dazu auch noch die großen Fesseln, und das schon den einen oder anderen Monat, mindestens, bis zu ein, zwei Jahren. Bis die ins Himmelreich eingingen, waren ihre Muskeln verschrumpelt, und ihre Arme waren dünn wie Schürhaken. Und wenn man ihnen dann die Fesseln abmachte, dann knirschten ihnen die Gelenke, und sie konnten die Arme eine Ewigkeit nicht nach vorne bewegen. Manchmal rollte ihnen aus der Achselhöhle auch unversehens ein ganzer Schwung Maden.«
Als ich das hörte, juckte es mich vom Kopf bis zu den Füßen. Die beiden Polizisten bekamen mit, dass ihre psychologische Kriegführung Wirkung zeigte, sie nutzten hochzufrieden diesen Sieg und setzten nach. Direktor He fluchte vollmundig, womit er seine übelsten Gewohnheiten aus der unteren Gesellschaft entblößte. Ich begriff, dass es ausgeschlossen ist, sie von ihrem eisernen Kurs Richtung Knasttyrann abzubringen.
Meine Fingerabdrücke wurden abgenommen. Ich wurde in das Büro des Staatsanwaltes gebracht. Der Staatsanwalt hatte einen Quadratschädel, ihm standen die Augen vor dem Kopf, und er hatte den Mund voller Goldzähne, weshalb es immer etwas von metallischer Entschlossenheit hatte, wenn er mich belehrte. Er saß hinter seinem Tisch, schüttelte einen Packen mit Anklagematerial, er ließ mich Akte für Akte bestätigen. Ich schüttelte geistesabwesend mit dem Kopf oder nickte, meine Augen verschmolzen mit dem Himmel vor dem Fenster, der abwechselnd hell und dunkel war. In der Weite des Universums war dieses Gefängnis wie ein Schiff, ein Schiff, ein Transporter mit jungen Schweinen, der langsam auf dem Wellengang der Zeit trieb. Und ich war im untersten Frachtraum eingesperrt, mein Leben war wertlos wie das einer Ameise, aber ich war nicht gewillt, eine Ameise abzugeben. Wenn die harte Wirklichkeit sich magisch verwandelte und der Stiefel von so einem Großkopf einem im Genick stand, habe ich unbewusst immer die Fühler
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