Für ein Lied und hundert Lieder
Wildschwein, das, mit Glück den Fängen eines Raubtiers entgangen, so außer sich ist vor Freude, dass es schnurstracks in eine Falle rennt.
Es dauerte nicht lange, und ich hatte im Innenhof eine Reiberei mit einem Neuen über die Kontrolle der Hygiene. Außenminister Bai stürzte heraus und wollte ihm eine Abreibung verpassen, als der Neue vor Angst Zeter und Mordio schrie und den Wachsoldaten aufschreckte. Wir wurden vor die Zelle zitiert, der Wachhabende, Regierung Sanfter Liu, fragte nicht nach Gründen, sondern überreichte jedem eine Rückenfessel. Ich gehorchte nicht, stellte mich bockig und wollte mir die Fessel nicht anlegen lassen, bis Sanfter Liu schließlich gleich fünf Rotfelle auf mich hetzte. Mein Blut war in Wallung, also kämpfte ich um mein Leben und setzte es dabei aufs Spiel, aber viele Hunde sind des Hasen Tod, leider, so dass ich schließlich auf dem Bauch landete, man mir die Arme auf den Rücken drehte und mir die Fessel anlegte. Als der Schmerz am heftigsten war, brüllte ich wie ein Löwe, die Rotfelle erstarrten, doch ich nutzte die Gelegenheit, drehte den Kopf herum und biss in die Hand, die mir den Hals herunterdrückte.
Drei Finger drückten sich mir in den Mund, die Kerle zerrten und rissen mit aller Gewalt an mir, doch sie konnten meinen Mund nicht öffnen. Die Schläge prasselten auf mich herab wie Regentropfen. Als meine Stirn von Elektroknüppeln eingeklemmt wurde, biss ich die Zähne zusammen, ich schmeckte Blut, schluckte es ganz automatisch. Das entsetzliche Schreien eines Pechvogels ist die wundervollste Musik auf Erden, jedes Auf und Ab wird begleitet von einem Krampf des Körpers. Ich konnte mich nicht mehr kontrollieren, der Unterkiefer wollte mir vor Schmerz herunterfallen. Instinktiv strengte ich mich mehr an, der Kerl führte einen spasmischen Tanz auf, schlug wie wild mit den Armen um mich, konnte aber meine Maulzange nicht abschütteln.
Sanfter Liu höchstpersönlich krempelte sich die Ärmel hoch, steckte mir seinen winzigen Jadefinger in die Nasenlöcher und zerrte sie jäh nach oben, ich hörte meine Nasenflügel reißen und das Blut spritzte. Da endlich lockerte sich die Maulzange.
»099, du bist ein Vieh!«, schimpfte Liu Wenrou.
Ich japste nach Luft, mein Gesicht war wie ein unter einer Hand zerdrückter Pfirsich, es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis ich mich langsam zusammenkauerte und mit den Knien in dem Chaos meine fünf Sinne suchte. Ich hatte das Gefühl, in diesem zermatschten Pfirsich war nur noch der Mund hart wie ein Kern: »Ihr Bullen seid Vieh!«
Der Rädelsführer der Rotfelle, der sich gerade den Finger verband, gab mir brüllend einen Tritt, ich sprang auf und revanchierte mich und rotzte ihn an. Sanfter Liu hörte gar nicht mehr auf zu brüllen, mit seiner weiblichen Stimme kreischte er: »099, du bist ein toter Mann!«
Wie ein Müllsack wurde ich in die Zelle zurückgeworfen, die Meute um mich herum hielt eine stille Trauerminute ab. Mein Gegner war bereits von Wang Ers Bande zusammengeschlagen worden, er kam wie ein Hund, der Gassi geht, herangekrochen und bat mich um Verzeihung, ich versetzte ihm einen Tritt, aber er winselte wieder heran, da stellte ich den Fuss auf ihn, wie ein waschechter Sklavenhalter, das blutige Haupt stolz erhoben schaute ich in die Runde. Auf einmal sah ich das Befremden in Ji Huas Blick, es war Mitleid und Vorwurf zugleich. Mir war klar, dass ich schon zu lange in diesem Verbrechernest saß, ich benahm mich schon lange nicht mehr wie ein politischer Gefangener.
Ich beneidete die Leute, die unter dem russischen Zaren nach Sibirien verbannt waren, denn auch wenn es dort kalt war, auch wenn es dort Zwangsarbeit gab und Typhus – die politischen Gefangenen konnten mit ihren Genossen zusammen sein und konnten sich am Feuer ihrer Überzeugungen die Seele wärmen. In einem solchen geistigen Umfeld, das etwas traumhaft Poetisches hatte, konnten selbst Vergewaltiger durch Moral und Gerechtigkeit geläutert werden und sich nach und nach von Schmutz und Sünde reinigen. Doch in chinesischen Gefängnissen, wo Gefangene über Gefangene herrschen, versucht die Regierung die Politischen in solchen Räuberhöhlen umzuerziehen. Ich wusste nicht, wie lange ich hier noch würde hocken müssen. Wenn es so weiterging, würde ich auf dem Müll landen.
Ein Schrei stieg mir in die Kehle, ich verfiel in die gleiche Panik wie der Mann auf dem berühmten Bild »Der Schrei« von Edvard Munch. Ach, wie gut es ein Wahnsinniger doch
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