Für ein Lied und hundert Lieder
fragte er mit ernster Stimme. Dabei vergaß er ganz, dass die Grippetabletten besser wirkten als jede Schlaftablette.
»Die sind aus Ihrem Arzneikoffer gefallen«, sagte ich gleichgültig.
»Wann?«
»Vor zehn Tagen.«
»Bist du lebensmüde?!«
Der Gefängnisarzt war sehr erschrocken und bat mich sofort leise und inständig: »Häng das bloß nicht an die große Glocke.«
Als ich die Rückenfessel den 23. Tag trug, berührte der alte Bai meinen Arm und erklärte, dass das so nicht mehr weitergehe.
»Ich gebe auf!«, sagte er, und seine Augen waren dabei so eingefallen, dass man ein Hühnerei hätte hineinlegen können.
»Hast du keine Angst, noch mehr Strafen zu bekommen?«, mahnte ich.
»Von mir aus, Hauptsache, die Dinger kommen weg, Hauptsache, ich komme hier etwas früher weg, weg von diesem Vorhof der Hölle, und wenn sie mir acht oder zehn Jahre mehr geben, o.k.«, würgte der alte Bai hervor, »ich habe schon ein paar Monate die Unterhose nicht mehr gewechselt, mir wird schlecht von meinem eigenen Geruch.«
Zwei Weicheier kamen im Gänsemarsch daher, mit einem Antragspapier und Stift für ein Geständnis. Als mir die Fesseln abgenommen wurden, war mir so wohl, dass ich lang und stinkig einen fahren ließ, die Rotfelle, die ihm im Weg standen, flohen zehn Meter zurück. In meiner Bauchhöhle war ein Getöse, als würde ein Gebirge auseinanderbrechen, ich hatte sofort das Gefühl, ich müsse mich erleichtern, ein Gefühl, das ich schon acht Tage nicht mehr gehabt hatte – ich hatte noch nie den psychischen Widerstand überwinden und mir von jemandem die Hosen herunterziehen und den Hintern abwischen lassen können.
Als ich auf dem Abtritt saß, bewegte ich die Arme, die extreme Freude an der Selbstmassage war kurz davor, in sich zusammenzufallen, und dann das offene und ehrliche Hinternabwischen und Ordnen der Kleidung, dann wieder raus und den Stift in die Hand, gestehen und anzeigen, die umständliche Auflistung der Straftatbestände, mehr als ein paar Dutzend. Tang, unser Säufer, machte eine Andeutung: »Wangs Tod steht kurz bevor.«
Ich verstand ihn ohne weiteres und sagte: »Wenn sie mir das auch noch alles anhängen wollten, macht das auch nichts.«
Tang, der Säufer, riss die Augen auf: »Man muss die Wahrheit in den Tatsachen suchen.« [49]
»Na gut, dann suche ich halt die Wahrheit in den Tatsachen!«, gab ich zurück.
Tang, der Säufer, fasste zusammen: »Literaten haben zwei Macken, erstens stinken sie aus dem Maul, und wenn sie etwas im Bauch haben, dann wollen sie damit auch angeben; und zweitens stinken sie aus dem Mund, sie merken nicht einmal, dass sie durch ihr Gequassel den Kopf verlieren.«
Ich trödelte weitere drei Tage herum und vollendete meine Sammlung an Unsinn, Lügen und Abstrusitäten, darunter auch Parolen, die dem Staat schadeten. Schließlich kam ich davon. Nach genau 24 Tagen unserer Bestrafung wurden der alte Bai und ich schließlich wiedergeboren, uns wurden offiziell die Fesseln abgenommen, wir beide betraten mit schwingenden Armen den Raum und nahmen mit stolzgeschwellter Brust an der großen Siegesversammlung zu unseren Fällen teil, die im Radio übertragen wurde.
Direkt nach dem Abendcheck breiteten wir unsere Lederbeutel aus, wie betrunken träumten wir und konnten die Augen geschlossen halten, bis es am nächsten Tag hell wurde. Als wir die Zelle verließen, erwartete uns ein kaltes Bad, das tat so gut, dass man nicht wusste, wo man war, der Mensch ist so leicht zufriedenzustellen.
Dass ich kein höheres Strafmaß bekam, ist dem Umstand zu verdanken, dass mein Fall sich noch einmal in die Länge zog, ein reguläres Urteil war nicht möglich, und eine Nebenstrafe konnte nur für eine Weile hinausgezögert werden. Dem Himmel sei Dank, dass ich noch gesund bin und lebe!
Der Todeskandidat Mao Shengyong kam im Austausch für Wang Er in unsere Zelle. An diesem Tag, es war nach Mittag, seilte sich eine rote Spinne von der Decke hinab.
»Ein Omen«, sagte der alte Bai, »auf wessen Kopf sie herunterkommt, der wird sich auf den Weg machen.«
Der gute Xie widersprach diesem altmodischen Aberglauben: »Wir haben hier in der Zelle nur schwere Fälle, wenn es keine Amnestie gibt, werden wir uns früher oder später alle auf den Weg machen müssen.«
»Ji Hua hat nur eine leichte Strafe, außerdem hat er noch Revision eingereicht«, ich machte mich lustig über ihn, »wenn das Schicksal sagt ›komm‹, dann kommst du!«
»Dann lass mich unter der Spinne
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