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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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seine Augen waren ganz rot und um seinen mit Schweißperlen übersäten Kopf stieg in Spiralen Rauch auf wie von einem Gefäß, in dem man destilliertes Wasser herstellt.
    »Bist du erkältet?«, sagte ich erschrocken.
    Der Ölkopf lächelte, gab aber keine Antwort. Als ich noch einmal meine Anteilnahme zeigte, wandte er auf einmal das Gesicht weg und schwang in meine Richtung eine kleine Faust.
    »Er hat das ganze Jahr so eine ölige Birne«, erklärte man mir.
    Mu Yang, der alte Arzt der chinesischen Medizin, vermittelte zwischen uns: »Was behelligst du unseren Ölkopf? Die haben ihm von zu Hause schon drei Monate kein Geld mehr geschickt, da kommst du Krösus gerade recht.«
    Als der Ölkopf ihn sprechen hörte, entspannte sich seine Faust auf der Stelle, und aus Feind wurde Freund: »Ich habe Tüten gefaltet, über drei Jahre, ich bin geschickt mit Händen und Füßen, ich kann viele Sachen arbeiten.«
    »Ich bin kurzsichtig, und ich bin langsam«, gab ich zu, »und muss dreimal am Tag die Toilette putzen.«
    Daraufhin wurde eine kleine Arbeitsgruppe zur gegenseitigen Unterstützung ins Leben gerufen, Voraussetzung war, dass ich sämtliche Ausgaben meiner Arbeitspartner übernahm. Der Ölkopf war starker Raucher, doch auch wenn die Zeit für die Hofgänge knapp bemessen war, schaffte er es doch, jeden Tag an die zehn minderwertige Zigarren zu rauchen. Als ihm nun jemand Geld gab, stieg sein Zigarrenkonsum auf zwei Schachteln am Tag, er steckte sich eine nach der anderen, machmal sogar zwei auf einmal in den Mund. Zu solchen Zeiten war er komplett in einen wabernden Rauch eingehüllt. Wie eine einzige große Zigarre. Wenn ihm vom Rauchen heiß wurde, entblößte er die Arme. Erstaunt stellte ich fest, dass an diesem Knochengestell, das dürr war wie ein Holzscheit, zwei große fette Brüste hingen. Aber diesmal hatte ich meine Lektion gelernt und tat, als hätte ich das nicht bemerkt.
    Wenn seine Nikotinsucht für den Augenblick gestillt war, war unser Ölkopf in der besten Stimmung, dann prahlte er wiederholt damit herum, er sei der beste Mörder in ganz Chongqing, aber der erste Feind, den er hingemacht habe, sei eine ganz durchschnittlich aussehende Frau gewesen: »Die Hure ist jeden Tag an meiner Tür vorbeigekommen, das hat ganz schön genervt.«
    »Sie wollte nach Hause«, sagte ich.
    Aber der Ölkopf hörte gar nicht zu: »Ich habe die Tür aufgemacht, da hat sie es tatsächlich gewagt, mir einen Blick zuzuwerfen, heimlich. Wenn ich etwas schon immer gehasst habe, dann heimliche Blicke. Ich also hinaus und sie angeschrien: ›Wenn du gucken willst, dann guck, aber direkt und nicht so hintenherum.‹ Sie schimpfte zurück: ›Du hast sie wohl nicht alle!‹ In der Wut bin ich dann hinaus und habe Material gekauft, sieben Schießpulverschleudern habe ich gebaut, die Munition war von einem großen Haufen Feuerholz, habe ich abgekratzt, hat eine ganze Woche gedauert.«
    Die folgenden Einzelheiten habe ich Dutzende Male gehört: Der Ölkopf hatte, um sich zu rächen, den geschnitzten Ankleidespiegel, der seit Generationen der Familie gehörte, fortgerückt, direkt seiner sperrangelweit geöffneten Haustür gegenüber. Er zielte auf den Feind in diesem Spiegel und übte wieder und wieder den Bewegungsablauf; an diesen Übungen hielt er mindestens einen ganzen Sommer und einen halben Herbst fest, er schlief selbst bei weit geöffneter Haustür.
    Eines Abends, der Herbstwind war kalt, hörte der Ölkopf das vertraute Knarren auf der Treppe, seine Feindin kam mit zerzaustem Haar herauf, blieb an der Haustür eine Weile stehen und kam am Ende nicht mehr höher. Der Ölkopf war mit einem Satz aus dem Bett. Wie ein schon lange auf der Lauer liegender Partisan hatte er seine sieben Pulverschleudern alle an seinem Körper hängen. Er zog eine heraus, das Fenster hinter ihm wurde vom Wind aufgedrückt, welke Blätter wehten herein. Sehr große Blätter! Sie verdeckten ihm beide Augen. Es war ein einziges scharfes Heulen. Dabei hatte er das Gefühl, die Feinde kämen von überallher, durch die Türen, durch das Fenster, er stand in den Lichtkegeln von zahllosen klitzekleinen Suchscheinwerfern, und sein ganzer Körper wurde von Maschinengewehren durchlöchert wie ein Wespennest.
    Die Frau kam lachend zur Tür herein, aus ihrer Nase, ihrem Mund schlugen Flammenzungen, der Ölkopf rieb sich die Augen und zog unerbittlich den Abzug durch. Der Spiegel ging lärmend in tausend Stücke, wie ein Eisberg.
    Dieses

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