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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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umgekehrter Topfdeckel.
    Ganz intuitiv wählte ich »Lass Liebe die Welt erfüllen« als Hintergrundmusik für die Aufnahme, mir war in dem Augenblick gar nicht bewusst, dass das das letzte Geschenk von Feifei gewesen war. Letztes Jahr an Silvester hatten Feifei und ich ihren zwei Kindern Maultier- und Pferdemarkt gezeigt, in einem Buchladen für ausländische Literatur hatte sie mich auf zwei CD s aufmerksam gemacht und sie gekauft, auf dem Cover war ein Gruppenfoto von hundert bekannten chinesischen Schlagerstars mit Unterschriften, sie alle trugen T-Shirts mit der Friedenstaube drauf. Es war die größte vergnügliche Veranstaltung, bei der um Frieden gebetet wurde, die es seit Menschengedenken in unserem Volk gegeben hat.
    Man kann nicht jedes Jahr zu einem »Weltjahr des Friedens« machen, deswegen kamen die Bittgesänge dieser Kinderstimmen dem Massaker in der Realität so nah, machten es scheußlicher, brutaler. Träumt nur, träumt beim Knallen der Schüsse, wenn das Blut langsam aus dir hinausläuft, deine Wangen blass werden, lass die Paradiesschimären wie einen Fluss, ein liebliches Kribbeln über deine Brauen ziehen! Wenn du Durst hast, »nehm ich leicht deine Hand«, wie leicht sie ist, schade, so leicht, dass sie Durst hat im Wasser …
    Ich griff an, mit Worten und Zeichen voller Narben griff ich an, als sei ich von einer Einheit der Volksbefreiungsarmee eingekreist, meine Stimme durchbrach den Kessel, wurde Schlächter und Lamm in einem. Mein Publikum bestand nur aus einer Person, wenn ich mich nicht bewegen konnte, sprang sie auf die Bühne, zähnefletschend und prankenschlagend, spuckte Schwefel und Rauch und zwang mich weiterzumachen.
    Etwa um sechs Uhr in der Früh hatte ich das Mastertape fertig, mein Gedicht »Massaker« mit Musik unterlegt, ich machte drei Kopien davon und schrieb auf jede »Zeit des Widerstands«. Dann gab ich sie Michael Day. Ich schaute zu, wie er seinen großen Tramperrucksack aufmachte und den Zündstoff hineinsteckte.
    Es war eine langsame Selbstverbrennung. Von Fuling ist Michael nach Chongqing, Chengdu, Xichang, Kanton, die Küste von Fujian entlang, nach Shanghai, Nanking, Beijing, bis er in Xi’an haltmachte.
    Wenn man es sich auf der Landkarte ansah, sah es aus, als habe er mich in einem großen Bogen umkreist. Ich bewegte mich nicht von der Stelle. Der Steppenbrand, den mein Geschrei auslöste, kam von diesem Kreis aus immer näher, es war, als schlösse sich um mich ein Ring von Feuer.
     
    Wohin Michael Day auch kam, tat er sich konspirativ mit den kriminellen Dichtern der jeweiligen Gegend zusammen, sammelte Untergrundlyrik, diskutierte alle möglichen künstlerischen Trends und die Agenten des staatlichen Sicherheitsschutzes immer hinter ihm her. In der größten Kaserne der Welt träumte dieser naive ausländische Teufel noch immer den in China tiefverwurzelten Traum, sich durch Bildung aus der Masse hervorzuheben und Erfolg zu haben.
    In Xichang begab er sich aus freien Stücken zu einer Audienz beim Leiter des Amtes für Öffentliche Sicherheit, um so nicht mit Zhou Luyou und seiner Frau, die schon überwacht wurden, in Zusammenhang gebracht zu werden, erklärte ihm seine rein sinologischen Interessen, was ungefähr so geklungen haben muss, als gebe ein Maultier eine Mozart-Oper.
    In Chengdu wurde er von irgendwelchen Soldaten der Volksbefreiungsarmee, die aus Literaten- und Beamtenhaushalten stammten und sich in Poesie ziemlich auskannten, im Expertenwohnheim der Musikakademie von Sichuan untergebracht, das heißt, die beiden widersprüchlichen Poeten, die sich im Ausland einen Namen machen wollten und gleichzeitig Angst hatten, in irgendwelche Kalamitäten zu geraten, drückten sich mit ihm im Schutz der Dunkelheit die Mauer entlang, flüsterten ein wenig mit Michael herum und zogen sich dann wie Partisanen zurück. Bei dem roten Terror witterte selbst das kanadische Konsulat in China überall Gefahr – als Michael Day dem Konsul das Band mit dem »Massaker« auf den Tisch legte und ihn eindringlich bat, seinen bedauernswerten Freund, also mich, zu retten, lehnte der kategorisch ab.
    Was diesen wirklich ganz und gar nicht leichtfertigen Ausländer unter Strom setzte, das war Beijing: Schwerbewaffnete Truppen kontrollierten den Bahnhof, die Schulen, die Hotels und sogar die großen Kreuzungen, sie hatten einen Befehl in der Hand, jeden einzelnen Touristen und Passanten zu kontrollieren und bei dem geringsten Verdacht deren Gepäck mit einem Messer

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