Für ein Lied und hundert Lieder
uns herunter, stechender, als hätte man schälchenweise reines Chili-Öl über uns ausgegossen, während von den nackten Bergketten und aus dem schlammigen Yangzi-Wasser Luftblasen hochbrodelten.
Diese Realität und die nie dagewesene Zerstörung der Umwelt bedeuteten »eine unentwegte Wiederholung der Geschichte«, die Leute waren nichts als konfuse Insekten, hin und her geworfen von wechselnden politischen Wetterlagen.
Ende Juni kehrte ich von Fuling über Chongqing nach Chengdu zurück, Li Yawei stellte mir Liu Taiheng vor. Das Wohnheim, in dem dieser Mensch wohnte, war ein heruntergekommenes Gebäude für chirurgische Operationen der Dritten Militärmedizinischen Universität, eine Reihe z-förmiger langer Schrägen ersetzte die Treppen, der Korridor im ersten Stock war lang wie ein Eisenbahntunnel, handgroße Lichter schimmerten aus einer jenseitigen Welt herein, die Küchen der Wohnungen waren jeweils rechts und links des Tunnels, der Rauch von Eierbriketts verschlug einem den Atem. Das Ganze wirkte völlig unwirklich, man stürzte voran, überall spritzten Öl, Salz, Sojasoße und Essig herum, Schatten verfolgten einen, man hatte ständig Angst, es würde nicht weitergehen, man war ein Stück Fleisch, das in dieser langen Röhre gegart wurde. Man rannte und rannte, aber die Wände wichen zurück, verwandelten sich in Felsen und Schluchten, und der Mond verbreitete ein lüsternes Silberlicht – ein Kreischen fuhr zum Himmel, als komme es von mir.
Li Yawei und ich irrten wie Gespenster durch den Abend zu Lius Wohnung, links von der Tür zog sich ein Vorhang hin, dort war das Schlafzimmer des Hausherrn; drinnen die paar Quadratmeter dienten als Arbeitszimmer, Wohnzimmer, Musikzimmer und als Lager für alle möglichen lyrischen Flüchtlinge.
Sich die Seite kratzend begrüßte der gute Liu seine Gäste. Gegen seine kleinen Augen hinter der großen Brille, das typische Karpfenmaul und den ausgemergelten Körper eines Kettenrauchers, an dem kein Gran Fett war, wirkte Xiaomin, die schöne Hausherrin, wie eine Fee.
»Endlich eine Atempause«, sagte ich, »unterwegs nichts als Kaserne.«
»Wenn Xiaomin uns auch noch Uniformen macht«, lachte Li Yawei, »werden wir Unruhestifter auf den Knien vor ihr rutschen!«
»Pass auf, was du sagst!«, mahnte Taiheng schlaff. Xiaomin lächelte und reichte uns zwei Schalen voll Nudeln mit Hackfleisch.
»Es gibt noch«, sagte sie.
Am Abend bummelte Gruppenführer Taiheng zu einigen Universitäten im Umkreis des Shaping-Damms, auf dem Sportplatz standen die Polizeiautos und -motorräder lückenlos ausgerichtet, und Soldaten patrouillierten die schattigen Wege hin und her, sie trugen echte Gewehre mit echter Munition, selbst zu den Partys am Wochenende wurden Aufpasser geschickt. Wir gaben uns als junge Lehrer aus, immer diese Lügerei, und sind schließlich unter dem Schutz einer Gruppe von Mädchen in den Tanzschuppen irgendeines Institutes gekommen.
Drei Kerle waren auf einmal todmüde: »Was sollen wir da drin, wir können doch nicht tanzen«, flüsterte ich.
»Wir holen uns Appetit«, lachte Liu Taiheng und forderte ein dralles Mädchen auf, konnte sie aber kaum halten, als er mit ihr über das Parkett schob. Die herausgeputzte Damenwelt drehte sich, die Röcke wirbelten, Li Yawei und ich hockten uns wohl oder übel bei den bewaffneten Kriegern, die hier die Ordnung aufrechterhalten sollten, auf die Hacken: »Wir werden langsam alt, die Füße stinken, und die Knochen auch«, seufzte ich, »das tanzt sich ganz fröhlich hier, eine Party auf dem Bajonett.«
»Ich bin schon ein halbes Jahr keiner Frau mehr begegnet«, Li Yawei hielt sich die Hände vor die Augen, »ich traue mich gar nicht, denen unter die Röcke zu schauen, sonst stürze ich mich noch auf sie und bitte sie, das Organ unter ihrer Hüfte sein zu dürfen.«
»Du solltest heiraten, Yawei.«
»Eine reiche Witwe, das wäre mein Ideal, dann ist für Fressen und Ficken gesorgt, schreiben kann ich selber.«
»Wer wird dich schon wollen, du lyrisches Faultier?«
»Wo ein Wille ist …«, Li Yawei war nicht überzeugt, »noch ist Polen nicht verloren, aber ich bin vollkommen aus der Übung.«
»In einer Studentenrevolte ist gut suchen, da sind Männlein und Weiblein, jung und alt, auf der Straße, das ist wie ein Fest. Wenn aus der Ferne eine wichtige Nachricht sich herumspricht und die Massen anspringen, dann packst du die Gelegenheit beim Schopf, nimmst so ein hübsches Ding in den Arm und knabberst dich
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