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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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Gleichschritt los. Am Ende des Straßengrabens wurde gerade das Dreckwasser abgeleitet, die stechenden und brodelnden Schwefeldämpfe versperrten uns den Weg, alles fing an zu husten, und allen tränten die Augen. Yang Wei erklärte mir kurz, was Sache war: »Das ist die Kieswaschhalle.«
    Die topausgebildete Truppe jedoch marschierte heroisch weiter, wenn auch mit tränenden und verschwommenen Augen, die donnernden Schritte klangen wie eine Naturgewalt. Der Truppenführer brüllte: »Eins, eins, eins-zwei-eins, eins-zwei-drei-vier!«
    Alle reagierten darauf, ihnen standen die Augen vor dem Kopf, und an den Gesichtern hingen dunkle Tränenrinnen.
    »Sehr gut!«, brüllte der Truppenführer wieder: »Im Stechschritt marsch!«
    Der Tsunami wurde augenblicklich zu einer Kriegstrommel, dung, dung, dung, sie war unwiderstehlich, wie ein gewaltiger Mechanismus, in den die Zahnräder aus Menschenfleisch sorgfältig eingepasst sind. So ging es ein paar Dutzend Schritte voran, als der Truppenführer wieder einen Befehl brüllte, worauf die Reaktion der Gefangenen auf einmal spärlich ausfiel.
    »Was ist los?«, brüllte er.
    Der Gefangenenmechanismus antwortete: »Was ist los –?« Woraufhin das Ganze müde und kraftlos wurde, alles trat auf der Stelle, aber wie auf Verabredung flogen alle Köpfe nach rechts.
    Der Truppenführer ging Schulter an Schulter mit seiner jungen Frau vorbei, und obwohl es langsam Winter wurde, trug sie einen Pullover mit Ausschnitt, in dem ihre großen Brüste herumsprangen wie die Karnickel. Wir alle waren wie vor den Kopf geschlagen und fuhren mit unseren Blicken wie mit Krallen langsam in diesen Ausschnitt hinein und kneteten das provozierende Spielzeug einmal richtig durch. Infolge des Innendrucks waren die Köpfe der ersten Reihe unisono um 180 Grad nach hinten geflogen, und auch die Körper hatten sich wie von Geisterhand umgewandt. Für eine Weile trampelte diese Blut-und-Eisen-Truppe sich gegenseitig auf den Füßen herum und befand sich in völliger Auflösung.
    Die junge Frau drückte sich instinktiv an den Rand des Grabens und bewegte sich in großer Hast, wie eine Schauspielerin, die auf Draht getreten ist. Als sie sich mit hocherhobenem Kopf umwandte und einen herausfordernden Blick über den ganzen Platz schweifen ließ, begann die Meute unwillkürlich zu applaudieren.
    »Stillgestanden!«, brüllte der Truppenführer schließlich, tastete nach seiner Pfeife und trillerte eine Weile wie von Sinnen herum: »Augen geradeaus! Sammeln! Im Gleichschritt marsch! Was gibt es da zu glotzen? Eins-zwei-eins! Passt auf, dass euch die Augen nicht aus dem Kopf fallen!! Eins, zwei, drei – vier!«
    Die erigierten Menschen marschierten weiter.
     
    Zurück in der Zelle, entledigten sich die Gefangenen rasch ihrer Kleider und verkrochen sich in ihre Decken. Ich war gerade dabei, mich an die örtlichen Gepflogenheiten anzupassen, als mein Bettnachbar mir zublinzelte: »Bis zum Essen dauert es noch eine Stunde, nutz die Zeit!«
    Ich wunderte mich noch, warum er so geheimnisvoll tat, als mein Bettnachbar von unten den weißen Kopf herausstreckte, mich anstarrte und sagte: »Machst du es denen etwa nach?«
    »Was denn?«, fragte ich in meiner Naivität. Auf einmal brach um mich herum ein gewaltiges Gelächter los, hinter dem Moskitonetz meines Bettnachbarn von gegenüber leuchtete ein gewaltiger, dampfender Schwanz.
    Endlich begriff ich und setzte mich auf, der alte Yu, mein Bettnachbar, streckte den nackten Arm aus und zerrte mich weiter nach unten: »Dem Mädel mit den großen Titten, dem wir da begegnet sind, dem hättest du es auch gerne besorgt, nicht? Solange das Gefühl frisch ist, lass zwei Kracher los!«
    Der alte Weißhaarige ging verärgert weg: »Wenn du dein Gesicht verlieren willst, Konterrevolutionär …«
    Als ich mich eilends fertigmachte und aufstand, schwankten die beiden Reihen von Eisenbetten längst quietschend und einträchtig. Der Weißhaarige lief im Korridor auf und ab, dieser alte Konterrevolutionär aus der Zeit der Kulturrevolution, der schon über zwanzig Jahre Knast hinter sich hatte, hielt es am Ende nicht mehr aus und stürzte aus dem Gebäude.
    Nach fünf, sechs Minuten fand dieses um die Wette Masturbieren ein vorläufiges Ende. Einige erschienen wieder auf der Bildfläche, andere hingen noch im Bett, kosteten es bis zur Neige aus und liefen sich für die zweite Runde warm. Hinter dem Moskitonetz hörte man es zweimal klatschen, dann war da ein Feuerschein, ich

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