Für ein Lied und hundert Lieder
wild den Boden zu fegen und Abfall zu beseitigen. Unterwegs eilten Gefangene hin und her, geschäftig wie Arbeitsbienen, am ganzen Körper schwarz wie Kohle. In der Werkshalle breitete sich ein Nebel aus Sand aus, durch den die Menschen wie Schatten schwebten.
»Wie beim Großen Stahlschmelzen achtundfünfzig«, seufzte ich, »dieser kleine Hochofen hier hat doch mindestens auch ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel?«
»Eine neue Anlage kostet Geld«, sagte Yang Wei, »es gibt sowieso genug Gefangene in der Umerziehung durch Arbeit, und viele Menschen heißt viel Arbeitskraft.«
»Das ist rufschädigend!«, mischte sich das Ausschussmitglied Li von schräg gegenüber ein, »die Regierung spart das Geld für uns!«
»Natürlich«, sagte Yang Wei und lachte kalt, »kein Wunder, dass Steinstaublunge und Lungenkrebs im Gefängnis Nr. 3 so ungewöhnlich häufig sind.«
»Ich sollte dich in die Kieswaschhalle schicken«, sagte unser Li wütend, »dort würden sie dir deine Widerborstigkeit mit Schwefelwasser herausbeizen!«
»Du bist wie eine zweite Regierung«, sagte Yang Wei respektvoll, »und nicht so ein scheiß Menschenhändler.« [64]
Unser Li fing regelrecht an zu bellen, so wütend wurde er, Yang Wei und ich schoben den Müllwagen an und machten, dass wir wegkamen. Li brüllte uns nach: »Ihr werdet keine Kinder und keine Enkel haben, scheiß Konterrevolutionäre!«
Erst nach dem Mittagessen zeigte sich die Sonne ein wenig, aber träge, und manche nutzten die Gelegenheit, sich hinzulegen. Unser Redner Li Bifeng hatte mit mir einen Besuch beim Kaiser verabredet, das war schon ungewöhnlich genug, aber ich hatte doch nicht erwartet, dass der »Wahre Drache und Sohn des Himmels« ein kleines altes Männchen mit bekümmertem Gesicht sein würde, das mich unter der halbkahlen Stirn her mit den Augen eines Kampfhahns anschaute.
»Hallo, Kaiser«, sagte Li Bifeng zur Begrüßung.
»Das heißt: ›Lang lebe das Großväterchen‹«, murmelte der Kaiser, »schließlich bin ich von Tausenden von Untertanen willkommen geheißen worden, als ich von den Bergen von Jiangnan nach Sichuan zurückkehrte und den Thron bestiegen habe.«
Zu seinen Füßen lag der im ganzen Gefängnis berühmte Jiu Wa, das Schnapsbaby, ein Verrückter, der mit einem halben Grinsen seine verfaulten Schneidezähne freilegte. Der Kerl war das ganze Jahr über in eine traditionelle Baumwolljacke gewickelt, die mit einem Strohseil zusammengebunden war, die Mütze des Umerziehungslagers auf dem Kopf und ein schmutziges farbiges Handtuch, das als Ohrenschutz diente, um die Wangen. Er sah aus wie ein aus dem Grab gestiegener japanischer Invasor und Gangster. Er und der Kaiser waren unzertrennlich, weil nur er dessen Erlasse ohne Murren befolgte.
»Ich bin gerade dabei, den alten Jiu Wa einer Operation zu unterziehen«, der Kaiser wedelte mit einem gezahnten, rostfleckigen Messer, »um dem Geschwür auf seinem Fußrücken den Garaus zu machen.«
Li Bifeng nahm ihm rasch das zwei Zoll lange Messer ab, da nahm Seine Majestät den schmerzenden Fuß seines Untertans in beide Hände, saugte eine Weile heftig daran und spuckte wieder und wieder das eitrige Blut vor die Tür. Jiu Wa stöhnte und vergoss gleichzeitig ein paar Tränen, aber seine Vorderzähne lagen in ewigem Lächeln frei und gaben etwas von ihrem Glanz ab an die Kummermiene des Kaisers.
»Könnt Ihr Euch nicht infizieren?«, sagte ich besorgt.
»Der menschliche Speichel ist das beste Desinfektionsmittel, außerdem habe ich den Drachenspeichel«, plapperte der Kaiser. Unwillkürlich hob er den Kopf, schaute mich eine halbe Ewigkeit aus nächster Nähe an, um mich dann auf einmal zur Seite zu ziehen und mir ins Ohr zu flüstern: »Der Himmel schickt Hilfe!«
Ich wandte mich ab vor diesem Mundgeruch, der aus den tiefsten Tiefen seiner Seele zu kommen schien, und der Kaiser sagte stirnrunzelnd: »Glaubst du nicht? Der Sohn des Himmels macht keine Witze.«
Ich gab das zu und zog mich zurück. Draußen wehte das Geschrei der Eule herüber. Yang Wei und ich fegten schließlich den Haupteingang, warteten, bis es drei Uhr Nachmittag war, um erst dann mit der Masse der Werkshallensträflinge in Gruppen in die Duschräume zu gehen und das erste Mal seit Jahren heiß zu duschen. Mir war so leicht ums Herz, dass ich zu schweben vermeinte wie ein Heiliger.
Um vier sammelte sich die Produktionsbrigade, um zurückzukehren, die große Umerziehungsarmee marschierte, wie sie gekommen war, im
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