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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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Henkern besteht, die blutige Zwischenfälle heraufbeschwört und dann auch noch ständig Lügen verbreitet und die Wahrheit verdreht – also sitze ich, und ich habe es verdient. Ich bin jemand, der sich an seine Todfeinde erinnert; vielleicht wird diese Regierung eine Lehre aus dem 4. Juni ziehen, die Reformen weiter vorantreiben und den Staat vernünftig regieren, damit das Volk, das nur noch an Profit und nicht mehr an Gerechtigkeit denkt, sich umgekehrt für diesen Staat einsetzt, aber das kann man nicht mit dem alten Himmelsgesetz Auge um Auge, Zahn um Zahn erreichen. Und was den Aufbau einer Organisation angeht, fehlt mir darin einfach jede Erfahrung, das kann nur schiefgehen, und wie ich das sehe, fehlt Ihnen darin auch jede Erfahrung, Wei Jingsheng und der im Ausland lebende Liu Qing, die haben die entsprechende Erfahrung, aber die mussten sie sich auch erst erwerben. Auch wir können das nicht einfach von ihnen lernen, unsere Vorstellungen von der Zukunft kommen aus Büchern.«
    »Sollen wir deshalb dann gar nichts machen? Und die Zeit verstreichen lassen?«
    »Auch ohne Organisation sind wir ein Kollektiv; wenn wir das als Individuen umsetzen, dann mache ich nur, was ich muss.«
    Wir schauten aus dem Fenster und schwiegen lange. Die Kommissionsmitglieder liefen neben uns hin und her und belauschten uns. Ich hatte das Gefühl, dass der alte Lei ein guter Mensch war und viel standhafter als ich. Während die politischen Gefangenen vom 4. Juni hier nach und nach entlassen wurden, musste er am Ende aushalten bis ins nächste Jahrtausend, das war bitter, dieses dunkle Kapitel sollte nicht vergessen werden.
    Als kleiner Mann hatte Lei tatsächlich den Mut gehabt, die bereits abgeschlossene historische Struktur herauszufordern, das war sein Unglück. An einem Tag im Frühwinter 1993 wurde ein englischer Brief, den er einem zwangsweise verpflichteten Arbeiter zum Überbringen überlassen hatte, sichergestellt, jemand hatte ihn denunziert, die Gefängnisverwaltung behandelte ihn wie einen Landesfeind, steckte ihn sofort in Einzelhaft und berief eine Vollversammlung der Gefangenen ein. Das Gefängnis Nr. 3 hatte keinen Kongresssaal im Stil des Gefängnisses Nr. 2, deshalb mussten, wenn es der Klassenkampf verlangte, sich einige tausend kahlgeschorene Gefangene, jeder ein kleines Bänkchen von gleicher Farbe hinter sich herziehend, pünktlich unter freiem Himmel versammeln, ganz gleich ob es regnete, stürmte oder schneite. Auf den Mauern ringsum war längst alles voller MG s und bewaffneter Polizei, und am Fuß der Mauer zuckten die Köpfe zusammen, wenn die Parolen und Schlagworte durch die Luft flogen wie während der Kulturrevolution. Ich erinnere mich, es war Nachmittag, und das Wetter war düster, die Gegenstände der Kampfkritik wurden einer nach dem anderen fest verschnürt auf den Platz gezerrt und vor der Bühne des Vorsitzenden aufgereiht; der alte Lei war der Letzte und auch einer von denen, die am meisten ins Auge stachen, denn er gehörte zu den 89er Konterrevolutionären, war nicht mit Seilen gefesselt und wurde auch von den beiden bewaffneten Polizisten hinter ihm nicht geschlagen und getreten, und sie drückten ihm auch nicht den Hals nach unten, wie man das normalerweise bei Kriminellen tat, die sich eines Regelverstoßes schuldig gemacht hatten.
    In dem kalten Nieselregen stand der alte Lei da, aufrecht und hocherhobenen Hauptes, wie ein Jesus, der lieber starb, als sich zu unterwerfen, und sich damit von dem Weichling, der sich an seiner Seite krümmte und zitterte, abhob. In Reihenfolge ihres offiziellen Kurswertes hielten die Justizbürokraten auf der Bühne des Vorsitzenden ihre belehrenden Reden, anschließend hatten die Vertreter der Gefangenen das Wort, zuletzt fasste der Politkommissar des Gefängnisses das Ganze zusammen. Er führte als Beispiel einige Ausbrecher an, um nach ihrer üblen, gegen die Umerziehung durch Arbeit gerichteten Tat, mit Nachdruck die Wichtigkeit des Themas der gegenwärtigen Vollversammlung zu betonen: »Wir waren einfach zu nachsichtig früher, und was ist das Resultat? Der Feind betrachtet unsere Nachsicht als Schwäche und Leichtgläubigkeit und denkt, in unseren Gefängnissen seien Lücken, durch die man eindringen könne. Unter den Konterrevolutionären von ’89 sind diese gegen die Regierung und gegen die Umerziehung durch Arbeit gerichteten Emotionen weit verbreitet und sehr stark, Lei Fengyun ist dafür ein typisches Beispiel. Weil er ein paar Tropfen

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