Für ein Lied und hundert Lieder
an sie heran.«
»Na, dann knabber mir hier mal was vor! Aber erst erzählst du ihr, dass du das ›Massaker‹ geschrieben hast und dass du der Held der Stunde bist.«
»Ich will noch ein paar Tage leben.«
Als wir aus der Uni heraus waren, schleppte uns Liu Taiheng zu irgendeinem Kino, die Vorstellung war gerade zu Ende, und Liu kämpfte sich gegen die Menschenmassen die Treppe hinauf. Dazu zog er doch tatsächlich die rote Armbinde eines Ordners aus der Tasche: »Wartet, ich habe Nachtschicht, wenn ich Glück habe, gibt es auch noch ein bisschen Trinkgeld.«
Wir blieben dicht hinter ihm und verharrten eine Weile am Eingang zum Tanzraum, der sich an der rechten Seite des Vorführraums befand.
Taiheng versah gähnend seinen »Dienst«, als er hinter dem hochgezogenen Vorhang einer Loge im ersten Stock des Vorführraums eine verdächtige Bewegung bemerkte – auf Zehenspitzen und mit Katzenbuckel schlich er sich hinter den Feind. Die beiden, die dort ineinander verkeilt saßen, starrten völlig hingerissen auf die Leinwand, ihr Atem ging laut. Auf den ersten Blick dachte er noch, das verliebte Pärchen sei in den Film vertieft, und wartete respektvoll einen Augenblick, bevor er ihnen mit seiner großen Taschenlampe die Beine hinaufleuchtete und schließlich mit seiner Linken in der Luft Kreise beschrieb.
Der Lustmolch zog zwanzig Yuan aus der Tasche und steckte sie ihm zu.
Der gute Liu blieb fest.
Da legte er noch dreißig drauf.
Die Lichtkreise hörten auf, die Hand zog sich zurück, die Armbinde des Diensthabenden kam herunter und verschwand in der Tasche, wir drei machten, dass wir wegkamen, und landeten in einer kleinen Kneipe.
»Trinkgeld stinkt, aber der Schnaps hier duftet!« Liu Taiheng kippte hastig einen herunter.
»Das Leben da in der Kaserne, früher oder später bist du dran«, sagte Li Yawei.
Der gute Liu fand das nicht: »Gerade werden in der Gesellschaft wieder die Netze gegen Pornographie und alles ausgelegt, die Wohn- und Aufenthaltsgenehmigungen der Anwohner werden überprüft, in den Hotels gibt es nachts Razzien, da sind die Kinos der ideale Platz für unverheiratete Pärchen, vor allem nachts. Wie sagt das Sprichwort so schön über uns: ›Neun Zehntel sind am Wetten, ein Zehntel tanzt in den Betten‹, dass ich eine kleine Gebühr nehme, ist ein Werk der reinen Barmherzigkeit.«
»Im Nu hat sich der Rauch der Revolution verzogen«, Li Yawei hob sein Glas, »also weg damit!«
Polizeiautos mit Sirene und Blaulicht fuhren vorbei, ich zählte, es waren dreizehn.
»Haben sie wieder welche am Wickel?«, fragte ich.
Der Wirt schüttelte den Kopf: »Das ist Patrouille, die kommen jeden Abend ein paarmal hier vorbei. Das sind alles die Aufständischen.«
»Wirt, haben sie auch gespendet?« Liu Taiheng lachte.
»Das wäre nicht verkehrt«, gab der Wirt zerstreut zurück, »man erzählt sich, das Geld, das die Leute überall spenden, wird von der Unabhängigen Liga der Universitätsstudenten aufgeteilt. Es ist ja längst klar, dass sie gegen die Kommunistische Partei nicht ankommen, warum also revoltieren? So viele Menschenleben hängen da dran.«
»Wer will hier revoltieren?«, wollte ich gerade widersprechen, als mir Liu Taiheng unter dem Tisch auf den Fuß trat, er lachte unheimlich: »Wirt, und wenn ich jetzt von der Unabhängigen Liga wäre?«
»Das will ich mal nicht gehört haben«, sagte der Wirt ernst, »trinkt lieber noch einen.«
Als das ganze Durcheinander vorbei war, bin ich zum ersten Mal in meine Heimatstadt zurückgekehrt. Ich war noch nicht richtig durch die Tür, als meine Mutter mich am rechten Handgelenk packte und durch zwei Gassen und zwei Straßen ohne Umweg zum Friseur zerrte. Die alte Dame war noch ganz außer Atem, als sie entschieden bestimmte: »Alles ab! Alles ab!«
Ich wurde blass und hielt entsetzt beide Hände schützend um meinen Kopf, aber meine Mutter wehrte ab: »Was willst du mit der wilden Wolle? Wie ein Affe, du siehst ja älter aus als deine alte Mutter.« Damit zog sie mich am Ärmel und half dem Friseur meine Arme auseinanderzuziehen. Ich hatte noch nicht richtig Luft geholt, da blitzte schon das Rasiermesser und hatte eine breite Schneise über meinen Scheitel gezogen.
Als mein heutiger kahler Kürbis geboren war, schaute ich voller Selbstmitleid in den Spiegel, während meine Mutter vor Freude in die Hände klatschte: »Manierlich, so ist es wieder manierlich, jetzt ist er wieder das eigenbrötlerische Schweinchen, das er als Kind
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