Für ein Lied und hundert Lieder
die lieben Spinnen, Ameisen und Kakerlaken
sind vor der Flut geflohen
was soll ich noch sagen
auch die Spucke ist wertvoll
23. April 1991
Sodomie
Es ist ein nach dem Vorbild des Fortpflanzungsorgans konstruiertes Foltergerät
die Schamhaare rasiert, ausreichend Strom
in den Händen des Regierung
Die Eichel dreht sich wie wahnsinnig
knackende blaue Flammen
erregen springende Spasmen
Auf die Erde geworfen
die Hosen herunter
mein Arschloch wird gefickt
Bei der Möse meiner Mutter! Der impotente Wärter
mit seinem Elektroschwanz
besorgt es mir, dem Intellektuellen, von hinten
Gegen welche Vorschrift habe ich verstoßen
dass du es deinem Großväterchen so besorgst?
Und das mit einem aus den kapitalistischen Ländern des Westens
eingeführten Spielzeug
Gerne verlöre ich den Kopf an dich
Gern ließe ich mich von dir in Stücke schneiden
Gern stürbe ich aufrecht stehend
wie die revolutionären Helden in den Romanen
Doch ich hocke nur da, wie ein Hund, krieche
die ungeschriebenen Gesetze des Knastes erlauben nicht
dass ich mich aufrichte
seit Jahrhunderten haben chinesische Literaten
sich nicht aufgerichtet
Wie oft sind wir von wechselnden Regimes
in den Arsch gefickt worden?
Über 5000 Jahre schon gibt es
in diesem alten ameisenartig fruchtbaren Volk
keine Männer mehr
Ich bin der letzte
geistig fruchtbare Mann
aber auch diese letzte jungfräuliche Grotte
wird gefickt
konkret wie das Messer, das einen zum Eunuchen macht
Gott
Gott, der sprach, es werde Finsternis und es ward Finsternis
Und der Lendenschurz?
1. Juli 1991
Jucken
Die Kopfhaut fängt an
dann der Schädelknochen
das Gehirn
ich stelle mir vor, eine Adlerkralle
fährt mir durch den Scheitel
in die Tiefe der Seele, wo das Jucken endet
wo man außer sich ist
am anderen Ufer, das ich nicht erreiche
oder eine Laus
ein juckendes rotes Mal
das ausstrahlt
wie ein Blutbote
wirre Ameisenverbände ziehen Schweißtropfen
– halb durchsichtige Panzer
jetzt steigen sie über Gesicht und Hals
kommen aus der Achselhöhle
und, wo Haare sind, zu Tausenden
Meine Hände, auf dem Rücken gefesselt
kneten den Schweiß, vergeblich
der arme General hat keine Chance
den Aufruhr, das Jucken, zu unterdrücken
Das Jucken, das den Glauben zerbricht, das allein
das Bild der politischen Gefangenen verzerrt
dieses metaphysische Jucken
sprachen Sokrates und Konfuzius in ihren Büchern davon?
Kann ein meditiertes Kratzen an die Stelle des konkreten Gefühls treten
mit dem Fingernagel über die Haut fahren?
Ich halte es nicht aus, wetze
am Gitter, am Rand des Kang, am Mauervorsprung
an allem, was vorsteht
die Hand ersetzt
Mörtel und Blut an der Wand
ich bin ein räudiger Hund
Gefangene stehen um mich
feilschen:
»Zehn Kuai und wir kratzen dich frei!«
Ich biete die Hälfte
wie ein Schieber
es gibt ein Jucken, das hört nicht auf
auch nach Jahren, ich weiß
6. Juli 1990
Das Land der Verbrecher
Das ist der zweiundzwanzigste Tag, ich kann nicht mehr
Onkel Wärter, Väterchen Wärter, wenn nötig
nenne ich dich Großväterchen Lei Feng
nur mach mir die Rückenfesseln ab
einmal die Arme ausstrecken
einmal halb strecken
und ich gebe alles zu, und dann gehe ich zur Fressluke
und nehme mir mit eigenen Händen die Stäbchen, trage das Schälchen
wische mir mit den eigenen Händen den Hintern nach Herzenslust
Meine Selbstachtung ist längst lahmgelegt
sie liegt auf dem kaputten Bett meiner Seele
sieht eine Menge Kinder um sich herum mit Tränen im Gesicht
Vaterland, ich habe kein Erbe
Vaterland, du Ding, das man nicht abwälzen kann
wann warst du artig gegenüber dem Vater?
Ich will dich im Kerker sehen, auch du
sollst spüren, wie Rückenfesseln schmecken
ich will für dich einen Wärter abstellen, einen mit Universitätsabschluss
der dich mit dem Elektroknüppel brandmarkt
und dabei über sein Berufsethos redet
Die arbeitende Bevölkerung, Vaterland, ist nicht sonderlich zartfühlend
du Vaterland der Hämorrhoiden und der Tradition
oder willst du, dass dich ein Intellektueller mit dem Elektroschwanz fickt
Ich will dein Gesicht zerstören
du und ein Räuber mit Eisenhand-Kung-Fu
ihr sollt euch gegenseitig eine reinhauen, abwechselnd und fair
sagen wir hundertmal
und, Vaterland, wenn dein Gesicht anschwillt
dass es gar nichts mehr ist
willst du zurück aus der konkreten Gegenwart in die abstrakte
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