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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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Vergangenheit
    damit dein Volk dich liebt nach Freierart?
    Stoßseufzer vom 3. August 1991, Steinplattenhügel

Mittagsschlafinspiration
    Zwischen zwei Todeskandidaten die aufrechte Leiche
    genieße ich eingehend den Fußgeruch aus der Hölle
    jede einzelne Illusion
    jede einzelne Grube
    braucht wie viel Schädel voll Fleisch und Blut, bis sie voll ist
    die Mäuler fressen die Erde weg
    das Seufzen am Ende des Lebens
    kommt aus dem Schamhaar, das im Wind tanzt
    Und dann die Spermatorrhoe [68]
    ein Todeskandidat setzt sich auf
    drückt seine Unterhose aus, als würde er melken
    Das ist das Salz und das Glutamat des Lebens
    das gibt den Knackis eine Zärtlichkeit, die nachhallt
    he, Henker, trink einen Schluck
    das ist die letzte Geliebte
    die du erledigst
    Die letzte Kugel
    blinzelnd mit der Unschuld und Arglosigkeit von Bastardaugen
    die das Oberleder der Schuhe des Gerichtspolizisten polieren
    wenn die letzte Kugel sich in ein Organ schmiegt
    wird sich deine Seele dann auf dem Kang aufsetzen
    und die Unterhose ausdrücken, als würde sie melken?
    Bis die Sonne auf den Plan tritt
    die Hutspitze des blauen Himmels tief in die Brauen gedrückt
    leckt ihre Aura, ihre goldene Zunge mit Widerhaken
    über das nackt im Ofen des Hochsommers hängende lebendige Fleisch
    Steinplattenhügel, 14. Juni 1991

Für dreiundzwanzig Ohrfeigen geschrieben
    Ich bin etwas kleiner als ein Hund
    ich kann mich noch kleiner machen
    so klein, dass ich, um frei zu sein, Scheiße fresse
    Ameisen
    glückliche Zwerge
    Peitsche und Elektroknüppel treffen sie nicht
    Fort mit der Namensliste der Untergrundpartei
    nimm den konspirativen Treffpunkt weg
    Mein Vorgesetzter ist Song Jiang
    mein Untergebener ist Wu Song
    der Tyrann von Chu, der Verbindungsmann, ist zu Hause bei Fräulein Jiang
    sie montieren heimlich die abgenommenen Köpfe
    Ich bin ein Bastard, ein Hahnrei
    ein perfider Meuchelmörder
    eine Wiedergeburt von Han Xin [69] , dem Kriechtier
    Reißt mir Herz, Lunge, die Eingeweide heraus
    und vergesst nicht
    das Gesicht, das von Ohrfeigen so schwingt
    danke, Zuständiger Bai [70] , dass du meinem Gesicht so zugetan warst
    ein halbes Leben vergeudet
    nicht einmal Vater, Mutter und Frau waren so vernarrt in mein Gesicht
    Und dann, und dann
    das Hinterhauptbein an meinem Hinterkopf
    daraus kann man eine Suppe machen
    besser für die Potenz als Affen- und Tigerknochen
    Nehmt alles weg
    nur den Hosenlatz, durch den der alte Han sich damals gebohrt hat
    lasst mir
    21. August 1992

Regenzeit im Gefängnis
    Wo hast du dich herumgetrieben, Abendsonne?
    Das Warten war so bitter
    Abendsonne
    faule Schlampe, hast dich nur einmal gezeigt diese Woche
    am Ende fiel dir ein
    mir von diesem Himmel, der flach ist wie der Bauch eines Fischs
    ein paar bunte Strahlen reinzudrücken
    Spärlich
    die Kopfhaut eines alten Mannes
    die roten Weiden auf den Sandbänken der Gobi
    Achselhaare voll von dem Duft westlicher Weiblichkeit
    Die Welt und das Licht gehören dem Volk
    nur Feinde stellen sich auf die Zehenspitzen und lecken dich
    seit der Einweisung ins Gefängnis schlaffe Schwänze erigieren
    wie der rote Bordürenstecken
    auf der Schulter des Anführers einer Kinderbande
    Beweg die Knochen, Wachsoldat
    steh nicht auf deinem Grat wie ein Informationsbaum
    und warte darauf, meine Reiseerlaubnis zu checken
    Der bedeckte Himmel, den Chongqing verhandelt,
    der bedeckte Himmel, der sich auf den Steintreppenweg stützt und niest
    der Bindfädenregen
    der die treuen Seelen der Märtyrer nicht verstreut
    feiner als Fäden und Regen die weißen, schief flatternden Knochen
    Sie haben wohl eine Affäre mit dem verdammten Wetter
    Diese Steinkäfige, in denen Saurier gezüchtet werden
    keine Spinne ist weiblich
    auch die Moskitos
    Sind alle männlich
    und möchten die feste Mauer des blauen Himmels ficken
    Weg da
    Abendsonne
    Weg da weg
    dreh dich nicht um
    Vergib mir traurigem Mann, dem man die Eier abgebunden hat
    Die Nacht muss viel tiefer sein
    als der Nabel des Alls
    sie hinterlässt mir den üblen Geruch deiner Achsel
    Juni 1991

Silvester im Gefängnis
    Silvesternacht
    vor der hohen Mauer das Knallen des Feuerwerks
    als trommelten die Klappern von hundert Klippschulvätern
    wild auf den Hintern der Kinder
    Meiner Seele wird die Scheiße herausgetrommelt
    Die Welt ist in diesem Augenblick ein großes Schiff
    wir sind in den untersten Laderaum gesperrt
    kleben an den Wänden und lauschen dem endlosen Wasser
    während ein anderes, unermesslicheres Wasser, das Wasser

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