Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
Vom Netzwerk:
Abgrund für einen Vergnügungspark.
    Mädchen mit langen Haaren, flötespielende Mädchen, den Mond betrachtende Mädchen, einsame Mädchen, erhängte, totgeweinte Mädchen, Mädchen mit zerstörten Gesichtern oder Mädchen, die sich traurig-selbstverliebt im Spiegel betrachten. Auf einem Bild hatte sie Sonne und Mond ineinandergemalt, einem Paar schön designter Handschellen zum Verwechseln ähnlich; sie erklärte, das seien zwei Brunnen, wenn ein Mensch auf dem Boden eines solchen Brunnens sitze, komme ihm die Welt sehr groß vor.
    Ich quittierte das mit einem Lächeln, ich war gewohnt, alles über die reine Kunst zu begreifen. Daraufhin verschloss sich A Xia noch mehr. In dieser Zeit ist sie oft nachts weggegangen, angeblich, um irgendeiner Freundin einen Partner vorzustellen, ich verschwendete keinen Gedanken daran, bis zu jener ominösen Nacht.
    Apathisch hatte ich bis zum Sendeschluss sämtliche Programme angeschaut, hob den Arm und schielte auf die Uhr, schon halb zwölf. Draußen war es stockdunkel, ich stand auf und lief im Zimmer hin und her, ich wurde immer schneller, am Ende hielt ich es nicht mehr aus, stieß einen komischen Schrei aus und sprang wie ein Panther aus meinem Käfig.
    Erst rannte ich eine Weile völlig von der Rolle die Anhöhe hinunter, dann drehte ich keuchend wieder um. Die Straßenlampen warfen ein spärliches Licht, es war wie auf dem Mond; die Hochhäuser lösten sich eines nach dem anderen im Himmelsgewölbe auf, die kleinen Gassen waren unergründlich tief, wie von Traumlampen projiziert erschienen gemeine Gedanken an ihrem Ende. Erst jetzt fiel es mir auf, sie hatte sich ausführlich geschminkt, bevor sie aus dem Haus ging, und sie hatte mich in letzter Zeit immer wieder gefragt, wann ich denn wieder nach Chengdu zurückwolle.
    Der Zufall wollte es, ich stieg den Weg am Berg entlang hoch, der Wind rauschte in meinen Segelohren, ich bewegte mich im Zahnbett eines gewaltigen Raubtiers, ich bekam weiche Arme und Beine, als würde ich von einem dicken Speichel verdaut. Da hörte ich rechter Hand am Stadtrand das Tappen von Schritten, jäh blieb ich stehen. Ich hatte das Gefühl, mein Kopf trennte sich von meinem Körper. Ich mühte mich in dieser Leere eine ganze Weile ab, bis ich zwischen meinen klappernden Zähnen etwas herauspresste, was wie ein Eulenruf klang: »A Xia!«
    Wie eine von einem Pfeil getroffene Antilope schoss ein schwarzer Schatten aus der Dunkelheit heraus, ich ihm nach; A Xia schwankte und hielt sich an einem Bäumchen fest, das unter ihrer Last fast in die Knie ging. Der Weg wurde unter den Füßen zu einem immer volleren Bogen, in dem ein riesiges einzelnes Auge ruhte, auf dessen dichten Wimpern ich voranflog, -schoss, -floh. Was für ein häßliches Wettrennen! Mehr und mehr schien ich den Boden unter den Füßen zu verlieren, ich trat auf die Pfeiler der Sterne, als ginge es über eine Brücke. Die Flut überschwemmte meine Schultern, völlig durchnässt näherte ich mich meiner Beute. Ich lief ihm einen guten Kilometer nach, sprang in die Luft und bekam ihn an der Hüfte zu packen.
    Wir überschlugen uns ein paarmal, ein nach Atem ringender Fleischkloß. Ich wollte ihn den Abhang hinuntertreten, geriet aus dem Gleichgewicht und wäre um ein Haar selbst mit dem Hintern voran da hinuntergeschossen. Die glitzernden Lichter der Stadt riefen aus ihren Schlupflöchern, mein Nebenbuhler spielte toter Mann, er weigerte sich, in der Hölle zu verschwinden, es machte mich rasend. Ich schnaufte wie eine Dampflok und drehte ihm den Hals um. Der Kerl streckte die Hände nach meinen Eiern aus, es fehlte nicht viel und ich hätte vor Wut den Kopf so lange gegen seinen geschlagen, bis ich ihm das bisschen Gehirn hinausgehämmert hätte – wie beim Eisenschädel-Kung-Fu. Ich drosch auf ihn ein, mir war egal, ob er dabei draufging, der Drecksack gab Töne von sich wie Schrott.
    »Gnade!«, winselte er durch den blutigen Schaum.
    »Wie oft?« Ich redete wie ein Verbrecher.
    »Dreimal, nein, nein, nicht, nicht ein einziges Mal. Wir haben uns dreimal verabredet, und jedes Mal haben wir über dich gesprochen.«
    »Und wo bist du her, du Bastard?«
    »Ich bin Abteilungsleiter. A Xia hat so eine Angst, sie ist allein, sie hat Angst, weil das Ministerium für Staatssicherheit dich auf dem Kieker hat.«
    »Und das hast du ausnutzen wollen, was?!«
    »A Xia liebt dich, aber sie erreicht dich nicht, sie sagt, du hast ihr noch nie richtig zugehört, jedes Mal hat sie geredet und geredet

Weitere Kostenlose Bücher