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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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meine Sachen beschlagnahmt habt, habt ihr auch nicht unterschrieben.«
    »Dann bleiben die Sachen hier.«
    »Na dann bitte!« Das brachte das Fass zum Überlaufen, ich explodierte, versetzte dem Waschbecken einen Tritt, dass es meterweit flog, und machte aus dem Kassettenrekorder Kleinholz: »Das Ding kannst du behalten, für die Aussteuer deiner Tochter!«
    »Du leistest Widerstand?!« Zwei Polizisten packten mich. Ich fragte sie schnell, wer heute eigentlich für das Mittagessen zuständig sei, der alte Yan kreischte richtig vor Wut: »Liao Yiwu, du wirst schon sehen!«
    »Sehen? Ich? Was?«
    »Wenn ich dich das nächste Mal in die Finger kriege, dann mache ich dich kalt …«
     
    Ich pflege jetzt mit den Sicherheitsbehörden seit über fünf Jahren unfreiwilligen gesellschaftlichen Kontakt, und wie es im Augenblick aussieht, wird dieser Kontakt auch noch weiter bestehen bleiben. In den Augen von professionellen Polizisten ist jeder auf der Welt verdächtig. Ich weiß bis heute nicht, wie viele Personen in die großangelegte Verhaftungsaktion verwickelt waren, aber es steht fest, dass unter diesen Leuten nicht ein einziger Kämpfer für die Demokratie war.
     
    Der Gefangenenwagen fuhr die gewundene Straße den Pan-Berg hinauf.
    Hin und wieder hörte ich das seufzende Rauschen der Kiefern im Wind, der Frühlingsregen wurde dichter, die Wischer kratzten über die Scheibe. Mir war klar, dass ich jetzt zu dem weltberühmten Geleshan von Chongqing, dem Berg der Freude, unterwegs war, wo viele Gespenster von Kommunisten und Guomindang herumlungerten.
    Plötzlich sprang mir ein Vers in den Kopf, der genau zum richtigen Augenblick die plötzliche, schicksalhafte Wendung in meinem Leben zusammenfasste: Alle Donner eines Lebens/in einer Stunde verklungen.
    Der Wagen hielt vor dem Untersuchungsgefängnis Kiefernberg des Amtes für Öffentliche Sicherheit von Chongqing.
    Zwei Kameras richteten sich auf mich, ich stellte mich vor dem Eingangsschild in Positur und hob die Handschellen, ganz unbewusst drückte ich die Brust raus und zog die Augenbrauen zusammen, das Bild eines seltsamen um Land und Volk besorgten Kerls, dessen Sucht nach Theaterspielen noch nicht gestillt war. Ein Wachmann wies mich zurecht und hob einen Fuß. Außer dass mir der Hintern wie Feuer brannte, musste ich in die Tür hinein eine Meldung brüllen.
    Das wiederholte sich dreimal, beim letzten Mal war meine Meldung nicht laut genug, doch am Ende wurde ich gezwungen zu passieren und in einen Innenhof bugsiert, der aussah wie auf dem Gut von einem der alten Großgrundbesitzer. An den Rändern des Innenhofs tauchten eilige Agenten auf und verschwanden wieder, als wollten sie für jemanden die Einzugsformalitäten fürs Altersheim erledigen. Der Regen rauschte, das Wasser zog Linien durch mein Gesicht, sammelte sich an meinem Kinn und tropfte zu Boden. Ich versuchte, meinen durchnässten Körper zu verrücken, schon richteten die Wachen geräuschvoll die Mündungen ihrer Gewehre auf mich, brüllten: »Keine Bewegung!«
    Wie aufs Stichwort tauchte ein hochgewachsener, magerer alter Wächter auf, er winkte den Wachen, woraufhin die Roboter formvollendet und lautlos auf dem Absatz kehrtmachten. Der Mann forderte mich auf, die Treppe hoch- und aus dem Regen zu kommen, wobei er meine von den Zähnen der Fesseln eingezwängten Handgelenke untersuchte.
    »Ein bisschen Geduld«, sagte er leise.
    Nach einer Viertelstunde drängten mich Agenten durch eine Bogentür, sie war lackiert und gesprenkelt, in eine Vorhalle des Hinterhofkorridors, wo mir der eiskalte Wind ungeschützt in den Hals schnitt und mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Dann ging es auf verwinkelten Wegen zu einer Treppe, der Anführer ging zunächst hinauf und verifizierte den Passierschein. Ich hob den Kopf und sah einen hell erleuchteten Wachmann mit Gewehr, eingedenk der Lehre, die mich hier empfangen hatte, sammelte ich Luft und schrie eine Meldung, ohne zu ahnen, dass ich damit wieder ein Tabu des Höllenschlunds verletzte: »Der hat einen Tiger gefrühstückt, der Saukerl fühlt sich stark, brüllt hier rum!«
    »Noch mal!«, schrie der Agent vor mir mit tiefer Stimme. Mit einer schnellen Bewegung hielt er den Gewehrkolben auf, der auf mich niedersauste, und lachte: »Das ist ein Neuer, der kennt die Regeln noch nicht.«
    Wie ein begriffsstutziger Köter bekam ich ein gutes Dutzend Mal den Befehl »Noch mal«, erst dann wurde mir erlaubt, mit vorgeneigtem Oberkörper die Treppe

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