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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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marschiert, im Hinterhof in den vierten Stock und in das Büro des Abteilungsleiters. Dort habe ich mich erst einmal hingesetzt. Ein diensthabender Polizeibeamter wuselte sofort hinter mir herein, verhörte mich und gab mir Bescheid, der Abteilungsleiter habe Verpflichtungen, er empfange niemanden.
    »Wir sind verabredet«, gab ich zurück. Lächelnd log er etwas von einer »Besucherliste«, in die ich mich draußen eintragen solle; ich folgte ihm Richtung Dienstzimmer, bemerkte aber unterwegs, wie auf einmal eine ganze Reihe von Kerlen beide Enden des Korridors besetzten – also ich die Hasenohren hoch und Huf zurück in das helle und saubere Büro des Abteilungsleiters.
    Nachdem der Plan gescheitert war, mich im Halbdunkel des Korridors zu greifen, kamen die Polizisten in das Abteilungsleiterbüro gestürzt, allen voran immer noch ihr mir wohlbekannter Anführer in Zivil, dem die Adern blau vor dem Kopf standen, wenn er wütend war – ein Mann namens Yan Changbo.
    »Liao Yiwu, du kannst wohl nie Ruhe geben!«
    »Ich soll meine Sachen abholen.«
    »Am Haupteingang, bei der Annahme- und Ausgabestelle.«
    »Es ist doch überall das Gleiche, wenn offiziell alles korrekt abgerechnet ist, dann gehe ich.«
    »Das hier ist das Büro des Abteilungsleiters!«
    »Den habe ich gesucht, den Abteilungsleiter.«
    »Deine große Klappe! Pass nur auf, sonst kriege ich dich wegen Amtsbehinderung dran!«
    Der alte Yan schlug auf den Tisch und schrie: »Ich habe dich schon einmal auffliegen lassen!«
    Sofort legte ich mich auf das Sofa des Abteilungsleiters: »Du bist der mit der scheißgroßen Klappe! Hast du es immer noch nicht begriffen, ich bin es, der alte Liao Yiwu!?«
    »Ich bin zu alt für so was, das machst du immer, du lässt die Hose herunter und meinst, das würde einen Tiger erschrecken, du hast so wenig Anstand wie ich Angst vor dir!«
    »Sehr gut, ein Mann mit Mumm«, lobte ich ihn, »diesmal bin ich von Fuling heruntergekommen hauptsächlich, um mich scheiden zu lassen. Ich bin jetzt ein Penner, kein Zuhause, kein Job, keine Frau, mir ist es egal, wo ich mich herumtreibe. Du willst mich festnehmen? Na, dann mach voran, mir juckt vom Rumliegen schon das Fell! Nimm mich gleich ein paarmal fest, das erhöht meine internationale Wirkung. Danke.«
    »Du meinst, ich traue mich nicht?«
    »Du? Du bist ein Laufbursche, sonst nichts, was du sagst, kann man vergessen, nur was dein Abteilungsleiter dir sagt, zählt.«
    Dem alten Yan liefen die Augen rot an, er kam mit gespreizten Pratzen auf mich zugewedelt, ich rührte mich nicht von der Stelle, der Wind seiner Pratzen wischte mir um die Nasenspitze, ich stellte mich in Kampfposition, um ihn so richtig in Fahrt zu bringen. Vier Gorillas zerrten mich hoch, schleppten mich nach unten und warfen mich vor die Tür. Der alte Yan stellte erst die Türwache in den Senkel, dann warf er mir ein kaputtes Waschbecken vor die Füße. Bei genauerem Hinsehen sah ich, dass in dem Becken eine verschimmelte, kissenähnliche Umhängetasche lag und ein chinesischer Kassettenrekorder.
    »Unterschreib!« Yans Assistent kramte ein Papier und einen Stift heraus und schrieb in großen kalligraphischen Zeichen darauf: »Rückgabeliste beschlagnahmter Gegenstände.«
    »Wir sind quitt«, sagte der alte Yan triumphierend.
    Ich bekam vor Wut ganz grüne Augen: »Wo habt ihr denn das geklaut?«
    »Und du willst ein Literat sein? Dann solltest du dich ein bisschen kultivierter ausdrücken!« Der alte Yan zeigte ein tückisches Lächeln, er war die Katze, ich war die Maus, er weidete sich an meinem Ärger.
    »Das Zeug da gehört mir nicht.«
    »Erkennst du nicht einmal deine eigenen Sachen? Ach, Liao Yiwu, der Knast hat dich wohl ein bisschen durcheinandergebracht.«
    »Und wie durcheinander ich bin«, würgte ich heraus und holte erst einmal Luft, »aber ich weiß genau, als die Polizisten damals in meine Wohnung kamen, die hätten selbst den Wind mitgehen lassen, aber über die Hälfte meiner Sachen habt ihr Onkels unter euch aufgeteilt.«
    »Ja – und?«
    »Ja – und? Du wirst dir doch wohl zu schade sein, als braver Sohn deinem Herrn Vater Diebesgut zu vermachen.«
    »Du hast wohl noch nicht genug Prügel bekommen!« Sein Lächeln erstarrte von einem Augenblick auf den anderen. »Willst du das Zeug jetzt oder nicht?«
    »Natürlich will ich es!« Ich schnappte mir das Waschbecken und zog davon.
    Yan hielt mich fest: »Unterschreiben!«
    »Nehmen, ohne zu geben, ist wider die Riten! Als ihr damals

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