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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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wilde Methoden, er sollte nach Mitteln und Wegen suchen, hintenherum, verstehen Sie, für eine ganz offizielle Fernsehausstrahlung des ›Requiems‹.«
    »Unsinn!«
    Der Richter schlug auf den Tisch und erhob sich.
    »Liao Yiwu, mit so einem Gerede kommen wir nicht weiter, die Volkspolizei macht für dich nicht den Laufburschen, gesteh einfach und ehrlich, welcher Organisation du angehörst, Michael Day, Zhou Jin, Wei Haitian, Liu Xiaobo – und da wäre noch der Geheimagent Hou Dejian, der Schlagerstar, mach das Beziehungsnetz unter diesen Leuten einfach deutlich.«
    Ich machte Augen groß wie Hühnereier und schaute ihn naiv und unschuldig an, als würde ich nicht begreifen, dass da jemand mehr Phantasie hatte als ich. Er schlug noch zweimal auf den Tisch, eigentlich ganz unverständlich, zwischen uns war weder Zwist noch Feindschaft. Ganz unbewusst verzog ich den Mund, da warf er mir vor, ich würde ihn »auf den Arm nehmen«, verdammte Scheiße, was für ein hysterischer Typ!
    Der ganze Raum war ein einziger schlechter Mundgeruch, ich igelte mich in dieser hartnäckig sich windenden Mundhöhle ein und versuchte, nicht an die Zähne zu kommen. Das Licht aus dem Oberlicht wurde diffus, die Abendsonne zitterte kurz, als sei sie der Gaumen im sich schließenden Schlund des Weltalls. Mein Gesäß war kalt wie Stein, ich zog unter mir zwei nasse Zeitungsseiten heraus, es sollte ein Hinweis sein an mein Gegenüber, aber sie verstanden ihn nicht. Ich stand auf, griff mir die Tropfen von der Nase und zog am Hosenboden, der mir am Leib klebte – sie schauten wie sehr bunte Opernmasken, der Sekretariatsangestellte schloss angewidert das Protokollbuch.
    Ein weißhaariger Alter tauchte im Zimmer auf und drückte mich freundlich auf meinen ursprünglichen Platz, holte einen Augenblick tief Luft und meinte: »Was hast du auf dem Herzen? Sag es mir!«
    »Ich bin nicht gebildet, ich verstehe nicht, was der da sagt«, jammerte ich, »es soll ein weniger gebildeter Polizist kommen.«
    Das Gesicht des Richters schwoll dunkelrot an, es sah aus wie eine Schweineniere.
     
    Als ich von diesem ersten Verhör zurückkam, war es mitten in der Nacht. Ich ging in die Zelle, stieg vorsichtig über die Türschwelle aus menschlichen Körpern und konnte schließlich deutlich den Spalt ausmachen, er war eine halbe Elle breit – und hinein, mit dem Kopf zuerst. Ich zog mir die verrottete Baumwollfüllung über und verlor das Bewusstsein. In der zweiten Nachthälfte bin ich aufgewacht, es war ein unerträgliches Jucken. Ich zog mir das Hemd über den Kopf und suchte eine Weile wahllos herum, mein ganzer Körper war mit Wunden übersät, ich bekam eine nicht unlustige Gänsehaut. Ich richtete mich auf und suchte nach der Ursache für das Jucken. Als ich allerdings sah, dass zwischen Bettdecke und Hose eine ganze Armee von Läusen in Kolonnen marschierte, begann es in meinem Kopf zu summen wie unter dem Beschuss von Miniaturpanzern. Ein Glück, dass mein Vater damals aufs Land verbannt worden war, ich war noch ein Kind gewesen, aber ich hatte einige Erfahrung mit Parasiten wie Flöhen, Wanzen und Läusen gemacht – ich versuchte also alles, um sie auf ihrem Weg zu fangen und umzubringen, mein Bett war voller Läuseblut, ein herrlicher Anblick, vor allem die vollgefressenen, fetten Mutterläuse zu schnappen, sie zu zerdrücken und auf dem Fingernagel zwei Kirschblüten in voller Blüte zu haben. Als ich mein Hemd und die Steppdecke mehrfach gewendet hatte, zog ich gutgelaunt auch die Unterhose herunter, wobei mir unglücklicherweise ein Mordsexemplar von Laus durch die Finger rutschte. Ich kniete mich und versuchte mit dem Kopf nach unten von der Seite her ihre Spur aufzunehmen – wobei es sich nicht vermeiden ließ, dass ich mein weißes Hinterteil nach draußen in das grelle Licht streckte.
    Schließlich erlegte ich das Läusepaar, das Mordsexemplar waren zwei gewesen, ein Pärchen, das auf der Flucht Liebe gemacht hatte.
    »Ha!« Mir entfuhr ein seltsames Lachen. In diesem Augenblick deckte eine magische Hand mein kaltes Gesäß zu.
    »Schäm dich!«, rief ich leise und beeilte mich, meine Hose an- und die vergammelte Baumwollfüllung hochzuziehen und mich hinzulegen. Mein alter Bettnachbar, der mich davor bewahrt hatte, meine Preziosen zur Schau zu stellen, zog sich ebenfalls die Hosen hoch, umging den Morast aus menschlichen Körpern so vorsichtig, als sei es ein Minenfeld, und vollführte auf seinem Weg zurück vom Latrinenkübel in

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