Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
Vom Netzwerk:
waren weiß geworden, und Zhuo hatte ziemlich zugelegt. Als wir uns plötzlich gegenüberstanden, hätte ich sie fast nicht erkannt, Wu lachte: »Habe ich mich so verändert?«
    Ich antwortete leichthin: »Wie wir alle.«
    Ich stand auf und wollte gehen. Wu hielt mich wieder und wieder zurück, wir starrten einander mit einer gewissen Sympathie an: »Such dir eine vernünftige Beschäftigung, schon wegen deiner hübschen Freundin!«, sagte er und schüttelte mir die Hand. Song Yu und ich gingen Arm in Arm aus dem Gebäude der Öffentlichen Sicherheit in Fuling, auf der gewundenen Hangstraße hatte ich einen seltsamen Nachgeschmack im Mund, als gehe dieser einsame alte Polizeibeamte seinem Ende entgegen.
    Aber Wu ist zum Abteilungsleiter der Öffentlichen Sicherheit aufgestiegen und mir mit ein paar von seinen Leuten immer noch auf den Fersen. Ich nahm meinen Personalausweis in Empfang, betrachtete meine Tochter Miaomiao, verbrachte die Nacht bei meinem Mittäter Ba Tie und reiste am nächsten Tag nach Fengdu ab. Dabei bin ich dem alten Sun Jiangyue, der aus der Gegend ist, in die Arme gelaufen, zusammen bestiegen wir die Residenz des Teufels und zogen Nummern, machten Fotos. Wu musste sämtliche Details meines Falls kennen wie seine Westentasche und sie auch nach oben weitergegeben haben, ein Polizeibeamter lebte davon.
    Zhuo begriff viel mehr von der Gesellschaft als Wu. Auch er wollte mich unbedingt zum Essen einladen, genauso hartnäckig lehnte ich ab. Auf einmal zog er mit großer Geste die Uniform aus und meinte: »So besser? Schließlich sind wir alles einfache Leute.«
    Beim Essen forderte er mich dauernd zum Trinken auf: »Bleib ein bisschen auf dem Boden der Realität, schau, dass du ein bisschen Geld machst, ist das nicht besser, als so ein Heißsporn zu sein? Politik, nicht wahr, Politik spielt mit den Menschen.«
    »Denken Sie das auch, wenn Sie im Dienst sind?«
    »Das denke ich auch, wenn ich im Dienst bin, aber meine Leute fassen muss ich trotzdem.«
    »Ein Witz.«
    »Kleine Leute sind immer ein Witz, und du und ich, wir sind kleine Leute.«
    »Dann bekommen Sie sicher eines Tages auch den Befehl, sich selbst zu verhaften, was dann?«
    »Dann verhafte ich mich«, gab Zhuo zurück, ohne zu überlegen. Dann fing er an zu lachen: »Alter Spinner!«
     
    Ich saß in der Zelle und berührte den Brief von A Xia, den ich unter dem Hemd trug, die paar Zeilen waren offensichtlich unter großem psychischem Druck geschrieben. Wie ging es ihr wirklich? Die Glocke läutete zum Abendessen, mechanisch setzte ich einen Fuß vor den anderen, wie eine Marionette, in beiden Händen den Reisnapf, obendrauf ein bisschen Schweinefleisch mit Chili. Ich starrte ganz fasziniert auf ein langes weißes Haar, das auf der Schwarte lag, das Essen wurde kalt dabei. Der fahrbare Fernsehschrank rumpelte an der Zellentür vorbei: »Verdammte Scheiße, bleibt wieder nicht bei uns stehen«, schimpfte Huang Gang, »heute Abend spielen wir mit den Piepmätzen.«
    Meine Nase fing an zu bluten, das Blut tropfte auf das Schweinefleisch, ich sprang hoch und suchte ein Stück Papier, um das Blut zu stillen, Doppelkreuzung spottete: »Wird das wieder ein Hungerstreik?«
    Ich sagte nichts, sprang über die vordere Reihe von Glatzköpfen und drückte meinen Reisnapf direkt einem von dem in der Ecke stehenden Latrinengesindel in die Hand. Der von außerhalb stammende Kerl, er hieß nach seiner Provinz Klein-Fujian, wusste überhaupt nicht, was er tun sollte angesichts dieses unverhofften Geschenks des Himmels, aber er riss mir doch das Essen sofort aus der Hand. Ein paar Stäbchen und das Fleisch obendrauf war im Nu verschwunden, es war nur noch ein glucksendes Schlucken zu vernehmen.
    Wie bei einem militärischen Manöver waren die Bewegungen der Killer schneller als die von Klein-Fujian. Ich hatte noch gar nicht reagieren können, da hatte mein Fressnapf schon einen Tritt bekommen, flog durch die Luft, knallte gegen die Decke und fiel auf den Boden.
    »Du Wiedergeburt eines Verhungerten!«, schimpfte Doppelkreuzung, »verpasst ihm einen kalten Schweinerüssel mit Soße!«
    Sieben, acht von den Kerlen schritten auf ihn zu und warteten, mich schoben sie zur Seite. Klein-Fujian zitterte wie Espenlaub und kniete sich hin wie eine Ente, die man vierteilen wird. Zwei Stäbchen wurden ihm quer in Ober- und Unterlippe geschoben, Doppelkreuzung befahl: »Hoch mit dir!«
    Im Kelch des »Entenschnabels« brachen bereits rote Blüten auf, und dieses Etwas

Weitere Kostenlose Bücher