Für ein Lied und hundert Lieder
Herstellung von Beweisen, die gegen einen verwendet werden können.
Ich war gerade einmal eine Woche im Untersuchungsgefängnis, als ich beim Hofgang auf Liu Taiheng stieß. Er, der sich immer das Haar hatte lang wachsen lassen, war kahlgeschoren, sein Schädel war ganz klein, wie ein Ei. Gewohnheitsgemäß knurrte ich: »Du siehst schlimm aus.« Aus der oberen Etage wurde der Ruf laut, Taiheng antwortete, drehte sich um und rannte. »Ich bin in der zweiten Gruppe«, sagte ich hinter ihm her.
Nach diesem einmaligen »Unfall beim Hofgang« ließen wir uns über die Gangdiebe einige private Zettel zukommen. Einmal schrieb Taiheng unter dem Tatbestand der Kollaboration: »Bartgesicht, ich bin krank, außerdem habe ich Hunger, kommst du nicht vielleicht an Zigaretten und etwas zu essen?«
Ich habe ihm Zigaretten und Erdnusskerne zukommen lassen, keine Rückmeldung, ich hatte den Verdacht, dass der Gangdieb das Zeug selber gefressen hatte. Die Leute im Knast haben den Spitznamen »Reisleute«, was heißen soll, dass man je länger man saß, desto mehr Kohldampf schob. Zhou Zhongling zum Beispiel hat mit dem Geld immer nur so um sich geschmissen. Aber nach nur einem Monat im Knast hat er gelernt, sparsam zu sein, dass man das kleinste Reiskorn, das auf den Boden fällt, aufheben muss, dass man mit einem Streichholz vier Zigaretten anzündet – und es auch dann nicht übers Herz bringt, es wegzuwerfen, wenn man sich die Hand verbrennt, im Gegenteil, man lässt eine Schimpftirade los, der, der Feuer bekommen sollte, sei ein »Reisbottich«.
Seit ich aus der Gefängnistür heraus bin, verursacht es mir körperliche Schmerzen, wenn ich Geld ausgeben muss. Einmal bin ich die Straßen abgelaufen, um eine Hose zu finden, die weniger als zehn Yuan kostet, und habe dafür eine Menge verächtliche Blicke geerntet.
Wenn es heißt, China ist krank, China hat Dickdarmkrebs, dann ist Chongqing so etwas wie eine ständige Ausscheidung, die aus dem verschwommenen Anus eines über und über mit Schaum bedeckten Yangzi kommt. Wenn sich hier einmal der Himmel verdunkelt, dann kommt wegen der Umweltverschmutzung und der Vielzahl der Fabriken mit Sicherheit einen halben Monat lang saurer Regen und saurer Nebel herunter, die Augen der Leute in dieser Bergstadt sind mit Augenbutter verschmiert, aber das macht sie auch derart nachlässig, hochfahrend und streitlustig, dass auch Gott sich im All zu recken und seine Mutter zu verfluchen scheint.
Und im Untersuchungsgefängnis suchen sie sich natürlich genau solche Tage mit einem derart miserablen Wetter aus zum Großreinemachen, zum Weißeln der kompletten Gefängniswände – als wollten sie der Inspektion der Beamten oben auf dem Gipfel entgegenkommen. Alles geschieht nach einem festen Plan, zuerst weißeln Verbrecher aus Bezirk zwei verschiedene Gebiete getrennt voneinander, die von Bezirk eins schleifen die Oberfläche der Mauer und machen sie sauber.
Am Vormittag eines solchen Tages sah ich durch die Gitterstäbe Liu Taiheng in dem bunten Hemd, das ich ihm hatte zukommen lassen, einen zwei Mann langen Besen auf der Schulter, wie er summend in den Gängen hin und her lief und sich geschäftig gab. Wenn zufällig ein Wachhabender vorbeikam, dann tat er so, als lege er sich mächtig ins Zeug, und wischte sich den nicht vorhandenen Schweiß mit dem Ärmel von der Stirn. Ich rief ihn, er schaute nach rechts und nach links, dann kam er zu meiner Zellentür, und wir plauderten. Wir redeten und lachten, schätzten unsere Lage optimistisch und also falsch ein. Der »böse Stern« Huang, ein berühmter Wachhabender, kam geschniegelt und gebügelt ein paarmal hinter ihm vorbei, schaute ihn aber nicht ein einziges Mal schief an. Wir standen unter dem »unabsichtlichen« Schutz des Beamten und plauderten eine halbe Stunde über Gott und die Welt. Das war das einzige Wunder, das mir im Gefängnis begegnet ist.
Am Tag darauf war die Reihe an unserer Gruppe, den Gang zu fegen. Ich nutzte die Gelegenheit, zerrte den Besen wild hinter mir her und versuchte, den Traum vom Vortag zu wiederholen. Ich hatte meine halbe Tour hinter mir und Taiheng nicht zu Gesicht bekommen. Aber ich sah in einer Ecke einen Menschenauflauf, also stellte ich mich dazu. Eigentlich war das eine Frauenzelle. An der alten, wie luftdichten Zellentür stand die Futterklappe offen. Einer von den Kerlen hatte den Kopf hineingesteckt und bat inständig: »Nur noch einen Blick, ein halbes Mantou mehr, ist das nicht doch
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