Für einen Kuss von Frisco
vielleicht irren wir uns ja beide.“
Mia lächelte zurück, ein wenig zögerlich und immer noch auf der Hut.
„Ich habe Ihnen noch gar nicht für Ihre Hilfe heute Morgen gedankt“, begann Frisco. „Tut mir leid, wenn ich etwas …“ Er stockte.
Mia wartete geduldig, dass er seinen Satz beendete. Was mochte er sagen wollen? Unfreundlich? Beunruhigt? Aufgeregt? Wütend? Unsachlich?
„… grob war“, schloss er schließlich. Er warf einen Blick zu Natasha, die im Schatten einer Palme lag, durch ihre Finger hindurch zum Himmel sah und leise vor sich hin trällerte. „Mit dieser Situation bin ich völlig überfordert“, gestand er mit einem schiefen Lächeln. „Ich habe keine Ahnung, wie man mit kleinen Kindern umgeht, und …“ Er zuckte mit den Schultern. „Selbst wenn ich etwas davon verstünde, bin ich derzeit nicht in der geeigneten psychischen Verfassung dafür, verstehen Sie?“
„Sie machen das prima.“
In seinem Blick lagen Belustigung und Ungläubigkeit. „Sie war kaum eine halbe Stunde unter meiner Aufsicht, und schon hatte ich sie verloren.“ Er versuchte, sich bequemer hinzuhocken, und stöhnte leise auf vor Schmerz. „Auf dem Heimweg habe ich versucht, mit ihr über ein paar grundsätzliche Regeln zu sprechen. Dass sie mir zum Beispiel Bescheid sagen muss, wenn sie die Wohnung verlässt, und dass sie nur im Hof spielen darf. Sie hat mich angesehen, als spräche ich Chinesisch.“ Er hielt inne und sah wieder zu dem Kind hinüber. „Anscheinend gab es bei Sharon überhaupt keine Regeln. Die Kleine durfte offensichtlich kommen und gehen, wie sie wollte. Ich glaube nicht, dass auch nur ein bisschen von dem, was ich ihr gesagt habe, bei ihr hängen geblieben ist.“
Er zog sich an seinem Krückstock hoch, nahm eine der gefüllten Baumwolltaschen auf und trug sie zu seiner Seilzugvorrichtung, wobei er einen Bogen um den Haufen Glasscherben, durchweichte Kartonreste und Himbeersaft-Bier machte.
„Sie müssen ihr Zeit geben, Alan. Für Natasha ist die Situation hier genauso ungewohnt wie für Sie – ohne ihre Mutter.“
Frisco hängte die Baumwolltasche an den Haken. „Wissen Sie …“ Er warf ihr über die Schulter einen Blick zu. „Eigentlich nennt mich niemand Alan. Ich bin Frisco … schon seit Jahren.“ Er machte sich auf den Weg die Stufen hinauf. „Bis auf meine Schwester nennen mich alle Frisco – mein Schwimmkumpel, mein Commander … einfach alle.“
Er schaute von oben zu ihr hinunter. Sie stand im Hof und beobachtete ihn, diesmal, ohne ein Hehl daraus zu machen. Die Kleidung, die sie zur Gartenarbeit trug, war fast so schmutzig wie seine, und etliche Strähnen ihres langen schwarzen Haares hatten sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst. Wie war es nur möglich, dass er sich scheußlich verschwitzt und verdreckt fühlte, während sie unglaublich hübsch wirkte?
Er bediente die Kurbel. Die Tasche stieg in die Höhe, und diesmal gelangte alles heil oben an.
Mia applaudierte, und auch Natasha klatschte vor Freude in die Hände.
„Lassen Sie das Seil wieder runter. Ich hänge die nächste Tasche an“, rief Mia.
Auch die zweite Tasche kam heil oben an.
„Komm rauf, Tash, und hilf mir, die Sachen in die Wohnung zu bringen“, rief Frisco der Kleinen zu, und sie stürmte sofort die Treppen hinauf. Dann wandte er sich an Mia: „Ich komme gleich wieder runter und räume den Dreck weg.“
„Alan, wissen Sie, ich habe im Moment sowieso nichts zu tun, ich kann …“
„Frisco“, unterbrach er sie. „Nicht Alan. Und aufräumen werde ich. Nicht Sie. Außerdem finde ich, wir könnten uns duzen.“
„Macht es Ihnen … Verzeihung … dir etwas aus, wenn ich dich Alan nenne? Es ist immerhin dein Vorname, und …“
„Ja, es macht mir etwas aus. Mein Name ist Frisco. Seit ich bei den SEALs anfing, bin ich Frisco.“ Seine Stimme wurde leiser. „Wer ist schon Alan? Ein Niemand.“
Ein gellender Schrei riss Frisco aus dem Schlaf.
Noch bevor er richtig wach war, rollte er sich aus dem Bett auf den Boden und tastete hastig nach seiner Waffe. Dann erst fiel ihm ein, dass er keine Pistole mehr unter dem Kopfkissen oder neben dem Bett liegen hatte. All seine Waffen lagen sicher verschlossen in einer Kiste in seinem Schrank. Außerdem befand er sich nicht etwa auf gefährlicher Mission im Dschungel, sondern in seinem Schlafzimmer in San Felipe, Kalifornien. Und der Schrei, der ihn aus dem Schlaf gerissen hatte, kam von seiner fünfjährigen Nichte, die eigentlich tief und
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