Für einen Kuss von Frisco
dass zwar die wenigsten von ihnen Uniform trugen, jedoch immer diese goldene Anstecknadel. Sie nannten sie Budweiser: ein Adler mit einem Gewehr in der einen Klaue, während er sich mit der anderen auf einem mit einem Anker gekreuzten Dreizack niederlässt. Diese Nadel dürfen nur diejenigen tragen, die die fast übermenschlich strapaziöse Ausbildung überstehen – sie gilt als eine der härtesten und anspruchsvollsten der Welt. Die meisten schaffen das nicht; die Durchfallquote beträgt neunzig Prozent! Doch wer die Nadel schließlich nach der schier endlosen Tortur erhielt, hatte es geschafft: Er war ein SEAL.“
Mia sah ihn an, als habe sie noch nie eine faszinierendere Geschichte gehört.
„Eines Tages“, erzählte er weiter, „wenige Tage vor meinem zwölften Geburtstag, sah ich, wie diese Rekruten mit ihren kleinen Schlauchbooten zwischen den Felsen vor dem Coronado Hotel anlegten. Das war gegen Ende der ersten Phase ihrer Kampfschwimmerausbildung; diese Woche wird auch Hell Week, Höllenwoche, genannt, weil die Männer dabei wirklich bis an ihre Grenzen gehen. Sie waren vollkommen erschöpft. Das konnte ich ihren Augen ansehen und daran, wie sie in ihren Booten hockten. Ich war sicher, sie würden alle dabei draufgehen. Hast du dir die Felsen dort unten schon mal angesehen?“
Mia schüttelte den Kopf.
„Sie sind tödlich. Scharfkantig und zerklüftet, mitten in der Brandung – keine gute Kombination. Aber ich sah, wie diese Jungs sich zusammenrissen und es einfach taten. Um mich herum standen Touristen und Einheimische, schüttelten die Köpfe und wunderten sich, warum diese Männer ihr Leben riskierten. Warum sie sich in solche Gefahr begaben.“
Frisco beugte sich zu Mia hinüber. Er wünschte sich so sehr, dass sie verstand. „Und ich stand da und wunderte mich nicht. Ich war noch ein kleiner Junge, aber ich wusste es – ich wusste, warum sie das taten. Wenn sie das schafften, dann würden sie SEALs sein. Sie würden diese Anstecknadel bekommen, und dann würde man ihnen auf jedem militärischen Stützpunkt überall auf der Welt Respekt entgegenbringen. Und fast noch besser als das: Sie würden sich selbst achten, wo auch immer sie hingingen. Das war das Allerwichtigste.“
Mia schaute ihn an, konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Vor ihrem inneren Auge sah sie ihn, einen kleinen Junge mit glatten Wangen, ein hageres kleines Kerlchen mit tiefblauen Augen, in denen sich eine Reife zeigte, die gar nicht seinem jugendlichen Alter entsprach. Sie begriff, warum er seiner freudlosen Kindheit und seinem gewalttätigen Vater entflohen war und sich auf die Suche nach Zugehörigkeit gemacht hatte, nach einem Ort, an dem er sich sicher fühlte, an dem er lernen konnte, sich selbst zu lieben, an dem er respektiert wurde, von anderen wie von sich selbst.
Er hatte diesen Ort gefunden: bei den SEALs.
„An diesem Tag wurde mir klar, dass ich eines Tages zu diesen Männern gehören wollte, koste es, was es wolle. Von diesem Tag achtete ich mich selbst, auch wenn es sonst niemand tat. Sechs Jahre musste ich noch zu Hause durchhalten, doch noch am selben Tag, an dem ich mein Highschool-Abschlusszeugnis in den Händen hielt, meldete ich mich zur Navy. Und ich habe es geschafft. Ich habe durchgehalten, nicht aufgegeben, mit meinem Schlauchboot zwischen den Felsen von Coronado angelegt. Ich habe mir diese Nadel verdient.“
Frisco starrte auf sein verletztes Knie hinunter, auf die kreuz und quer verlaufenden Narben. Das Herz klopfte Mia bis zum Hals. Er hatte ihr seine Geschichte anvertraut, weil er wollte, dass sie ihn verstand, und das war ihm gelungen. Sie verstand ihn. Sie wusste genau, was er als Nächstes sagen würde, und die noch unausgesprochenen Worten taten ihr weh.
„Ich dachte immer, ich könnte mein Schicksal ändern, indem ich ein SEAL werde. Du weißt schon – das Schicksal, das mir eigentlich beschieden gewesen wäre. Zum Beispiel, bei einem Autounfall ums Leben zu kommen wie mein Bruder Rob. Er ist im Suff gegen einen Pfeiler gefahren. Oder meine Highschool-Liebe zu schwängern wie mein Bruder Danny. Er musste schon mit siebzehn Jahren Frau und Kind versorgen und arbeitete auf dem gleichen Fischerboot wie mein Vater. Ich dachte immer, wenn ich der Navy beitrete und ein SEAL werde, könnte ich meinem Schicksal entkommen. Aber sieh mich an: Ich bin wieder genau dort gelandet, von wo ich geflohen bin. In San Felipe. Und habe zwei Nächte lang eine verdammt gute Imitation meines Vaters
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